Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark Jahrgang 73 (1982)
Von Günther Jontes
Die seit 1975 Montanuniversität genannte, zuvor als Montanistische Hochschule bekannte Leobener Lehranstalt ist heute eine der bedeutendsten technischen Fachuniversitäten Österreichs. An ihr studieren traditionsgemäß viele Ausländer, ein Phänomen, das seit den Anfängen dieser Institution zu beobachten ist. Wenn heute Studenten aus dem Vorderen Orient und den Entwicklungsländern, wo die weltwichtigsten Ressourcen an Bodenschätzen liegen, einen Hauptteil der Ausländer ausmachen, so waren es in der Vergangenheit, besonders bis zum Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie 1918, Reichsangehörige slawischer Nationalität, so vor allem Polen, Tschechen und Kroaten, die oft weit mehr als die Hälfte der Hörer stellten.
Eine Montanuniversität in Leoben, der uralten Eisenhandelsstadt, hat ihren Standort nicht von ungefähr. Zwei der wichtigsten Montanzentren Österreichs, die Eisenerzlagerstätte des Steirischen Erzberges und das Eisenhüttenwerk Donawitz, sind das natürliche geologische und technologische Zentrum, wobei letzteres aber erst im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts durch Standortverlagerung der alten Eisenschmelzstätten in das verkehrsmäßig günstiger gelegene Murtal heraus seine überragende Bedeutung erlangte, die es heute im Rahmen der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke (VOEST) innehat. So waren auch die Keimzelle und der unmittelbare Vorgänger der Hochschule im alten Verhüttungsort Vordernberg nördlich von Leoben 1840 auf Betreiben des Erzherzogs Johann als „Steiermärkisch-ständische Montanlehranstalt" unter Leitung des hervorragendsten österreichischen Montanisten des 19. Jahrhunderts, Peter Tunner, errichtet worden. [1] Damit entstand auch in den Alpenländern eine Ausbildungsstätte für Berg- und Hüttenleute, wie es sie für Sachsen in Freiberg bereits seit 1765, [2] für die Slowakei im damals oberungarischen Schemnitz (heute Banska Stiavnica) seit 1770 gegeben hatte. [3] 1775 war das Geburtsjahr der Bergakademie zu Clausthal im Harz.
[1] Zu diesem vgl. H. Lackner , Peter Tunner. Ein Leben für das innerösterreichische Eisenwesen. In: Der Leobener Strauß 8 (1980), S. 245-296.
[2] Bergakademie Freiberg. Festschrift zu ihrer 200-Jahr-Feier am 13. November 1965. Freiberg 1965.
[3] Gedenkbuch zur hundertjährigen Gründung der königlich-ungarischen Berg- und Forstakademie in Schemnitz 1770-1870. Schemnitz 1871; H. Kunnert, Die Beziehungen der Bergakademie Leoben zu den Bergakademien in Schemnitz-Banska Stiavnica und Pribram im 19. Jahrhundert. In: Alt-Leoben. Geschichtsblätter zur Vergangenheit von Stadt und Bezirk. Heft 1, 1979, S. 3-4.
Im Jahre 1849 wurde die Lehranstalt nach Leoben verlegt. Das hatte damals seine politischen Gründe. Im März 1849 war der Unterricht in Schemnitz wegen der Revolutionswirren eingestellt und erst im folgenden Jahr wiederaufgenommen worden. Diese Pause und die Magyarisierungsbestrebungen hatten allerdings die Folge, daß die meisten deutschen Hörer abwanderten und nach Leoben oder in die 1849 in Pfibram in der Slowakei neugegründete Montanlehranstalt gingen. Leoben war für die Aufnahme einer zahlreicheren Hörerschaft besser geeignet als das kleine, mit Eisenbetrieben vollgestopfte Vordernberg. So wurde also die Schule nach Leoben verlegt, im ehemaligen Seminargebäude des 1773 aufgehobenen Jesuitenordens untergebracht („Alte Akademie"), vom Staat übernommen und in „K. k. Montanlehranstalt zu Leoben" umbenannt, die man noch nach heutigen Begriffen als höhere Fachschule bezeichnen könnte.
Am 14. Oktober 1861 wurde die Leobener Anstalt gleichzeitig mit der in Pribram zur „k. k. Bergakademie", also zu einer Art hohen Schule erhoben. Damit wurden die Schüler auch zu Studenten, was sich auch darin äußerte, daß die Hörer bald begannen, sich in studentischen Korporationen liberalen, nationalen oder landsmannschaftlichen Charakters zu versammeln. [4] Endgültig gleichgestellt wurde die Bergakademie den Technischen Hochschulen 1874. 1895 kam dazu das Recht zur Wahl eines Rektors, der von nun an den vom Ministerium ernannten Akademiedirektor ersetzte. 1904 erfolgte die Erhebung zur Montanistischen Hochschule mit den zwei Studienrichtungen Bergwesen und Hüttenwesen. Damit wurden auch Promotionen zum Doktor der Montanwissenschaften möglich.
[4] Eine kurzgefaßte Zusammenfassung über die Änderungen im Studienbetriebe zuletzt bei R. Reimann, Akademischer Gesangverein Leoben. Chronik 1862-1901. In: Mitt. d. Akad. Sängerschaft Gothia zu Graz 53 (1977), S. 8-15; R. Walze 1, Die Montanistische Hochschule Leoben. Ein geschichtlicher Abriß. In: Die Steiermark, Land, Leute, Leistung. Graz 19712, S. 775-783.
Naturgemäß kamen die Hörer der Akademie aus Ländern der Monarchie, in denen das Montanwesen besonders blühte. Neben den Alpenländern waren es deshalb vor allem das erz- und kohlenreiche Böhmen und Mähren sowie das mit Salz und Erdöl besonders versehene Galizien, also Österreichisch-Polen, die das Hauptkontingent an Studenten stellten.
Die habsburgischen Erblande hatten bekanntlich bei den polnischen Teilungen aus dieser Masse ebenso wie die beiden anderen kontinentaleuropäischen Großmächte Preußen und Rußland wesentlichen Gebietszuwachs erzielt. 1772 fielen bei der ersten Teilung Ostgalizien und Lodomerien, 1795 bei der dritten Westgalizien und Krakau an Österreich.
Der Verlust der staatlichen Souveränität und die Aufteilung der polnischen Nation auf drei Fremdstaaten brachte auf der anderen Seite ein bemerkenswertes Erstarken des Nationalgefühles dieses westslawischen Volkes, das in etlichen, wenn auch erfolglosen Aufständen versuchte, sich wieder einen eigenen Staat zu erringen. Es darf deshalb nicht verwundern, daß sich deshalb polnische Studenten allenthalben an fremden Hochschulen zu eigenen Vereinigungen zusammenschlossen und in diesen ihre nationale Kultur, Sprache und Literatur pflegten.
An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs erlaubt. Die ersten in Leoben feststellbaren polnischen Studenten sind nicht Montanisten des 19., sondern Frequentanten des Leobener Jesuitengymnasiums bereits des 17. Jahrhunderts! Unter den 3663 Gymnasiasten, die von 1627 bis 1773 die Leobener Ordensschule besuchten, [5] konnte ich sieben Polen feststellen, deren Namen, da sie Mitglieder der Marianischen Kongregation waren, in deren „Album sodalitatis" erhalten geblieben sind. [6] Nach der Reihenfolge ihres Auftretens in Leoben sind dies 1634 der als Adeliger („Nobilis") bezeichnete Nicolaus Valerius Wilcrogovitsch aus Krakau, 1638 Graf Michael Froncovich, Christophorus Casimir Priserecki, 1640 Stanislaus Caesaris, Benedictus und Ludovicus Zugovitz sowie 1681 Joannes Georgius Gallant, der als Schüler der höchsten, der Rhetorikklasse, in diesem Jahr von Graz zugewandert war. Nur von einem einzigen dieser Schüler kennen wir also den Herkunftsort, alle anderen werden nur mit dem Volksnamen „Polonus" bezeichnet.
[5] Zur Entstehung und Geschichte vgl. G. Jontes, Das Leobener Jesuitentheater im 17. Jahrhundert. In: Der Leobener Strauß 8 (1980), S. 9-117, bes. S. 14-18.
[6] Stmk. Landesarchiv in Graz, Handschriftenreihe, Handschrift Nr. 138, fol. 4/1, 6, 6/1, 8, 40.
Aber zurück ins 19. Jahrhundert! Die ersten polnischen Montanstudenten, sechs an der Zahl, finden sich im Studienjahr 1848/49 in Leoben ein. [7] Diese sechs, Josef Heyda, Albin Koczynski, Marius Pistl, Emilian Resch, Leo Turner und Eduard Windakiewicz, machten damals bei einer Gesamthörerzahl von 55 etwa 11 Prozent aus. Nach Höfers zitierter Aufstellung war das der Anfang eines Zuzuges von Hörern polnischer Nationalität, der bis 1889 insgesamt 140 Personen oder 8,4 Prozent der Gesamthörerzahl betrug. Den prozentuell höchsten Anteil unter den Neuinskribenten hatten polnische Studenten in den siebziger und achtziger Jahren. So wurde im Studienjahr 1877/78 mit 10 von 35 Neuhörern und einem Anteil von 28,5 Prozent der größte Prozentsatz, 1883/84 mit 15 die größte absolute Zahl an polnischen Neuinskribenten erreicht. Das heißt, daß die Polen jeweils etwa ein Viertel an Junghörern einbrachten.
[7] Vgl. H. Höfer, Verzeichnis der eingeschriebenen Hörer von 1840 bis 1889. In: Denk-schrift zur fünfzigjährigen Jubelfeier der k. k. Bergakademie in Leoben 1840 bis 1889, Leoben 1890, S. 175-231.
Der Anteil an der Gesamthörerzahl in einem Studienjahr läßt sich auch in absoluten Zahlen ausdrücken, da seit 1875/76 bei der Inskription die Studenten auch ein nationales Bekenntnis abgaben, das von der Staatszugehörigkeit abweichen kann. In den Leobener Quellen finden sich deshalb Polen aus dem österreichischen Galizien, aus Russisch-Polen, aber auch aus anderen russischen Territorien. Ihnen gemeinsam war aber das Bekenntnis zur polnischen Nation. [8] Im Studienjahr 1875/76 bekennen sich von insgesamt 134 Hörern neun als Polen und sind damit nach Deutschen und Tschechen die drittstärkste Nation an der Akademie. Die Zahl steigt dann aber stärker an, da in den siebziger Jahren durch die verstärkten Magyarisierungstendenzen in Schemnitz immer mehr Hörer nach Leoben ziehen. 1879/80 rücken die Polen mit 40 von 148 Hörern zur zweitstärksten Nation auf.
[8] Quellen dazu sind die berg- und hüttenmännischen Jahrbücher der k. k. Bergakademien zu Leoben und Pfibram und der königlich-ungarischen Bergakademie zu Schemnitz. Leoben 1852 ff.
Es darf deshalb in diesem Zeitalter nicht wunder nehmen, daß in Leoben, besonders nach der Schaffung des neuen fortschrittlicheren Vereinsgesetzes von 1867, die Studenten sich in stark wechselnden Gruppierungen, Korporationen und Vereinen organisierten, die kürzeren oder längeren Bestand hatten. Eine Vereinigung, die sich aller Studenten annahm, war der „Verein zur Unterstützung dürftiger und würdiger Hörer an der k. k. Bergakademie in Leoben", der 1868 gegründet wurde. Ihm traten auch viele Leobener Bürger bei. Die Bestrebungen nützten auch den polnischen Studenten. Als letzter der außersteirischen Landtage trat diesem Verein als Gründer mit einer Spende von 100 Gulden im Vereinsjahr 1881/82 auch der galizische Landtag bei. [9]
[9] Gedruckte „Rechenschaftsberichte. Leoben 1872/73 ff.
Dem Beispiel ihrer deutschen Kommilitonen folgend, die sich schon vorher zu Korporationen formiert hatten, gründeten die Polen unter den Hörern 1878 die „Bergakademische Polnische Lesehalle" (seit 1894 „Czytelnia polska akademików górniczych"). [10] Am 29. Oktober 1878 wendet sich der Gründungsausschuß an die k. k. Statthalterei in Graz und ersucht um Bestätigung der Statuten der Lesehalle, eines kulturellen Vereines also, der laut Generalversammlung vom 20. Oktober „zur Förderung des geselligen und hauptsächlich des wissenschaftlichen Lebens" von 30 polnischen Bergakademikern ins Leben gerufen werden sollte. Die Gründung fällt gerade in eine Zeit besonders starken polnischen Zuzugs. Als Praeses tritt Thadeus v. Boczkowski, als Sekretär Erwin Edgar Windakowsky an die Öffentlichkeit.
[10] Darstellung nach den Vereinsakten der k. k. Statthalterei am Steiermärkischen Landesarchiv in Graz, Sign. Statthalterei Ver. 53-15.517/1879 M 297 a — 1588/1916, 206 L, 222/1931, Abt. 13.
Die Statuten sagen zwar wenig über die tatsächlichen Absichten des Vereines und seiner Mitglieder und gar nichts über das uns besonders interessierende Vereinsleben aus, stecken aber wenigstens einen Rahmen ab. So sagt § 2: „Der Zweck ... ist die wissenschaftliche Unterstützung seiner Mitglieder in jeder Beziehung, dann die Förderung des geselligen Lebens." Die Mittel zur Erreichung dieses Zweckes sind nach § 3 die Gründung und Erhaltung eines Lesesaales und einer Bibliothek sowie wissenschaftliche und gesellige Zusammenkünfte. Wo sich das Vereinslokal, das einzige seiner Art in der Stadt, damals befunden hat, wissen wir nicht. 1916 heißt es in einem Bericht, die Lesehalle habe in der Langgasse ein geräumiges Vereinslokal mit Bibliothek, das den Mittelpunkt der kleinen polnischen Kolonie bilde. Ob auch in den Anfängen schon hier getagt wurde, ist zweifelhaft.
Nach den Satzungen von 1878 ist jeder an der Bergakademie studierende Pole Mitglied, der durch die Generalversammlung mit Stimmenmehrheit angenommen wurde und das Eintrittsgeld in der Höhe eines Guldens sowie die Monatsbeiträge entrichtet hatte (§ 4). Dem Verein stehen ein Praeses und sechs Ausschußmitglieder vor, die als Sekretär, Kassier, Bibliothekar, Archivar, Kontrollor und Verwalter des Lokales bezeichnet werden. Interessant sind die im 25 genannten Verfügungen für den Fall einer Auflösung des Vereines, da sie Aufschluß über engere Beziehungen zu anderen polnischen Vereinen außerhalb Leobens geben. Im Falle einer behördlichen Aufhebung sollten die Bibliothek und das Inventar dem akademischen polnischen Verein „Ognisko" in Wien, bei dessen Auflösung der Akademischen Lesehalle in Lemberg zufallen. Bei der Statutenänderung, die 1894 erfolgte, wird damit der polnisch-akademische Verein „Ognisko" in Graz bedacht.
Die polnische Lesehalle in Leoben versorgte ihre Mitglieder mit Lektüre in Form polnischsprachiger Zeitungen und Bücher und gab Gelegenheit zu gesellschaftlichem Umgang im eigenen Kreis. Die Intentionen waren dabei so beispielgebend, daß 1881 auch ein „Deutscher Leseverein der k. k. Bergakademie" gegründet wurde, der zum intellektuellen Sammelpunkt der weltanschauungsmäßig in den Corps, Burschenschaften und anderen akademischen Verbindungen vereinigten deutschen Hörer wurde. Gleichzeitig mit den Polen gründeten auch die tschechischen Hörer eine nationale Vereinigung, die sich „Verein der cechoslavischen Akademiker in Leoben Prokop" nannte. Zu ihr fanden sich am 14. Oktober 1878 25 Hörer zusammen. [11] Diese Vereinigung wurde 1887 von der Statthalterei aufgelöst. [12]
[11] Wie oben.
[12] Vgl. Leobner Rundschau 3 (1887), Nr. 12, 19. 3. 1887, S. 94.
Im Sinne eines akademischen Ehrenstandpunktes gaben die Mitglieder der Polnischen Lesehalle bei Ehrenhändeln Satisfaktion auf Säbel, was von „Prokop" abgelehnt wurde. In der Geschichte des akad. Corps Schacht werden solche nationalen Auseinandersetzungen geschildert: „Die Mitglieder der polnischen Lesehalle gaben auf Säbel Satisfaktion, der Prokop lehnte solche ab. Beide slawischen Korporationen benahmen sich anmaßend, besonders die Polen, und deshalb sah sich die deutsche Hörerschaft veranlaßt, dagegen Stellung zu nehmen. Am 16. Oktober 1881 wurde der akademische Leseverein gegründet ... Infolge dieser Aktion häuften sich Renkontres mit den Polen, und es kam auch zu wiederholten Pistolenduellen, die aber unblutig verliefen." [13] Forderungen und Duelle waren aber auf Hochschulboden damals allenthalben üblich und dürfen in Leoben nicht nur als Ausdruck nationaler Gegensätze angesehen werden. Immerhin zwangen sie aber auch die im Gegensatz zu den Tschechen auf dem Ehrenstandpunkt verharrenden polnischen Studenten zu einer Übung in den studentischen Waffen. So existierte 1887 innerhalb der Lesehalle ein eigener Fechtclub mit einem Obmann, zwei Paukwarten und einem Kassier. Der Fechtboden befand sich damals in der bürgerlichen Schießstätte auf dem Winkelfeld. [14]
[13] A. Stollowsky , Das Korps „Schacht" zu Leoben 1874-1924. Leoben 1924, S. 38.
[14] Leobner Rundschau 3 (1887), Nr. 47, 19. 11. 1887, S. 378.
Neben diesen Aktivitäten, die dem Verein von seiner Umgebung aufgezwungen wurden, entwickelte er aber auch ein spezifisches Gesellschaftsleben. So waren in Leoben die „Polen-Kränzchen" eine beliebte Faschingsveranstaltung, die beispielsweise 1886 im Alt-Leobener Hotel „Mohr" stattfand. Damals wurde am 17. Februar in den oberen Lokalitäten des Etablissements gefeiert. Als Ehrengäste waren neben Bezirkshauptmann und Kreisgerichtspräsident auch die Professoren Höfer, Lorber und Rochelt anwesend, was durchaus Zeugnis dafür ablegt, daß die „Polnische Lesehalle" in Leoben nicht gesellschaftlich isoliert war. „Die Veranstalter brachten ihr Geschick in Tanz und Arrangement trefflich zu Ehren und nahm daher das Vergnügen bei den Klängen der Seegrabner Bergmusik erst am späten Morgen ein Ende", berichtete die Lokalpresse, der wir die einzigen Einblicke in das Kulturleben der Polen in Leoben verdanken. [15] Die Reinerträgnisse wurden im übrigen dem Unterstützungsverein überwiesen.
[15] Ebenda 2 (1886), Nr. 5, 31. 1. 1886, S. 35, Nr. 8, 21. 2. 1886, S. 59.
Ein bedeutendes kulturelles Ereignis war die Feier, die die Lesehalle am 29. November 1887 im „Schwarzen Adler" auf dem Hauptplatz anläßlich des 32. Todestages des bedeutendsten polnischen Dichters Adam Mickiewicz (1798 — 1855) als „declamatorisch-musikalischen Abend" abhielt. Sämtliche slawischen Studenten erschienen zu diesem Anlaß als Gäste. Die damals liberal eingestellte Leobner Rundschau vom 3. 12. 1887 berichtet dazu unter anderem: „Die Festrede hielt der Vorstand Herr Kostkiewicz. Von dem reichhaltigen Programme sind besonders hervorzuheben ... die vom slawischen Sängerclub unter Leitung des Akademikers Logar executierten Chöre und Solo-Quartette. Die von den alten Herren und auswärtigen polnisch-akademischen Vereinen eingelangten Telegramme, zwanzig an der Zahl, wurden mit stürmischen Prosit-Rufen aufgenommen. Nach dem officiellen Theil folgte ein Festcommers, welcher erst nach Mitternacht seinen Abschluß fand." Dieser Bericht beweist auch, daß Formen studentischer Geselligkeit wie bei den deutschen Korporationen in Kommersform gepflegt wurden. Das zeigt sich besonders beim akademischen „Ledersprung", einer eigenartigen bergmännischen Zeremonie, bei der der neue Hörer über ein Bergleder in seinen neuen Stand springt. Dieses noch heute in Leoben am Beginn des Wintersemesters gepflegte Brauchtum wurde in den Anfängen des Montanunterrichtes durch Schemnitzer Bergstudenten nach Leoben und Pribram verpflanzt. [16] Anfänglich wurde der „Ledersprung" von allen Hörern ohne Ansehung der Nationalität gemeinsam gepflegt. Die zunehmende Polarisierung zwischen Deutschen und Slawen in den ausgehenden achtziger Jahren führte aber zu einer Spaltung. Am 15. November 1887 kam es bei einer akademischen Versammlung zu einer Differenz zwischen den Studenten deutscher und slawischer Nationalität „in bezug auf die Zulassung nationaler Gesänge bei dieser bergmännischen Feier". Die Slawen, in der Hauptsache Tschechen und Polen, beendeten die Auseinandersetzung schließlich mit der Erklärung, „sich an einem allgemeinen akademischen Ledersprunge nicht betheiligen zu wollen". Am 3. Dezember 1887 fand schon ein eigener Ledersprung der slawischen Hörer im großen Saal des Hotels Mohren statt, der von der Seegrabener Bergmusik musikalisch umrahmt wurde. [17]
[16] F. Kirnbauer , Der Ledersprung. Wien 1962 (Leobener Grüne Hefte 59).
[17] Leobner Rundschau 3 (1887), Nr. 47, 19. 11. 1887, S. 378.
Ab dem Wintersemester 1903 hielten auch sämtliche deutschen Korporationen einen gemeinsamen Ledersprung ab, von 1903 bis 1910 auch einen gemeinsamen Hochschulball.
Die innere Zersplitterung scheint aber auch innerhalb der polnischen Hörerschaft gewirkt zu haben. Die Namenslisten der Inskribenten zeigen unter den Polen in Leoben immer wieder Angehörige des Adels und des Großbürgertums. Im Jahre 1901 kam es aber zur Gründung eines zweiten polnischen Hörervereins, der nach den kargen Quellen eher demokratisch-fortschrittlich eingestellt war. Am 10. Juni 1901 kommen die Studenten Paul Setkowicz, Josef Kiedrori und A. Kamienicki bei der Statthalterei um Genehmigung der Statuten ein. Nach § 1 derselben trägt die neue Vereinigung den Namen „Promien, Verein der fortschrittlichen polnischen Jugend in Leoben". Auch dieser Verein will seine Mitglieder in „wissenschaftlicher und moralischer Hinsicht" unterstützen und dies unter anderem durch eine eigene Bibliothek und durch Vorträge erreichen. Laut § 28 sollte bei einer Auflösung das Vereinsvermögen dem „A. Mickiewicz-Volksbildungsverein" („Uniwersytet ludowy im: A. Mickiewicza") in Krakau zufallen. [18] Eine Programmatik im geschilderten Sinn läßt sich vielleicht aus dem polnischen Namen „Promien" („Strahl", „Sonnenstrahl") ablesen. Dieser im Ansatz wahrscheinlich sozialdemokratischen Vereinigung war aber keine lange Lebensdauer beschieden. Am 8. Februar 1904 gab Stanislaw Niewiadomski für den abgetretenen Vorstand im Amtsblatt zur Grazer Zeitung bekannt, daß sich der Verein am 13. Mai 1903 wegen Mangels an Mitgliedern freiwillig aufgelöst habe. [19]
[18] Stmk. Landesarch., Statth. Ver. 53-20.000, 182/1901.
[19] Nr. 32, 10. 2. 1904, S. 1.
Auch die Zeit zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg ist von Auseinandersetzungen mit der deutschen Hörerschaft geprägt. Zu einem öffentlichen Konflikt kam es wieder 1913, als die polnischen Studenten zum ersten Mal nach acht Jahren wieder eine öffentliche Philistrierung abhalten wollten. [20] Der Leobener Bürgermeister Murko untersagte, als ihm Zusammenstöße zwischen den Gruppen vorausgesagt wurden, die polnische Veranstaltung. Laut Lokalpresse „kam es in der Nacht ... trotzdem zu kleineren Zusammenstößen zwischen deutschen und polnischen Hörern, die in gegenseitigen Forderungen ihren Abschluß fanden. Wie verlautet, erblickt die polnische Hörerschaft in der Nichtbewilligung dieses Umzuges eine Einschränkung ihrer Rechte und will dieselbe dagegen kompetenten Ortes Stellung nehmen. [21]
[20] Studentischer Brauch, bei dem der absolvierte Hörer nach der letzten Prüfung im Rahmen einer lustigen Zeremonie an der Pforte der Hochschule und danach am Bergmannsbrunnen auf dem Hauptplatz von seinen Kommilitonen verabschiedet wird.
[21] Obersteirische Volkszeitung, Leoben 29 (1913), Nr. 93, 22. 11. 1913, S. 3.
Gedämpft wurden diese Konflikte allerdings durch den Ausbruch des Weltkrieges, der den größten Teil der Studenten an die Fronten rief. Die Polen erhofften sich damals wieder einen eigenen nationalpolnischen Staat. Diese Tendenzen führten auch zu einer Überwachung der polnischen Vereinigungen. Aufschlußreich ist deshalb ein vertraulicher Bericht der Bezirkshauptmannschaft Leoben vom 20. August 1916 an die Statthalterei in Graz, der das Verhalten der Polnischen Lesehalle unter die Lupe nimmt. [22] Dem Verein wird bescheinigt, daß er „im Allgemeinen dieselben Tendenzen verfolgt, wie die übrigen studentischen Vereinigungen an der hiesigen Hochschule". Wie die meisten dieser pflegt er auch den Fechtsport. Nachträglich wird auch noch über den damals nicht mehr existierenden Verein „Promien" gesagt, daß dieser die „polnische demokratische Richtung" vertrat, während die Mitglieder der Lesehalle in ihren Anschauungen sich der „Schlachta", also der polnischen Adelspartei, nähern. In Friedenszeiten hatte die Lesehalle 60 bis 80 Mitglieder. Ein wenig im Widerspruch zu dem vorhin Gesagten steht allerdings die folgende Mitteilung: „Wiewohl in nationaler Beziehung kleinere Reibungen mit deutschen Studenten vorgekommen sein dürften, so ist es doch seit 20 Jahren in Leoben nicht zu nennenswerten Zwistigkeiten zwischen den deutschen und polnischen Hochschülern gekommen und kann behauptet werden, daß sich die letzteren der Achtung ihrer deutschen Kollegen erfreuen. Auch die Bürgerschaft steht den Polen wohlwollend gegenüber und scheinen dieselben sich in Leoben heimisch zu fühlen." Als durch das Kriegsgeschehen an den Grenzen Galiziens viele polnische Familien evakuiert werden mußten und in großer Zahl in das Innere der Monarchie gebracht wurden, kamen auch etliche ehemalige Leobener Absolventen mit ihren Familien in die Stadt zurück. Die Lesehalle widmete sich damals sehr der Flüchtlingshilfe. Ihr Ausschuß bestand 1916 aus dem Vorstand Wlodzimier v. Marczevski, dem Sekretär Maksymilian Fingerchut, dem Bibliothekar Feliks Grywal, dem Inventarverwalter R. v. Hilczynski und dem Revisionskommissär Dr. Kazimier Windakiewicz. Der Bericht nach Graz enthält auch eine interessante Wahrnehmung zur politischen Einstellung: „Aus einem anfangs des Krieges zensurierten Briefe konnte geschlossen werden, daß in polnischen Kreisen eine abwartende Haltung in politischer Beziehung empfohlen wurde. Daß der allen Polen gemeinsame geheime Wunsch nach Wiederherstellung eines Königreiches Polen auch bei den hiesigen Hochschülern besteht, kann wohl als zweifellos angesehen werden." Der von den Mittelmächten 1916 proklamierte Staat war dann ja auch die erste Erfüllung dieser polnischen Wünsche.
[22] Wie Anmerkung [10].
Im Jahre 1917 übernimmt die Polnische Lesehalle Leoben auch die Leitung des Grazer polnischen Vereines „Ognisko", da dieser wegen Mitgliedermangel nicht mehr in der Lage gewesen wäre, weiter seinen Betrieb aufrechtzuerhalten, der deshalb als wichtig angesehen wurde, da auch in Graz polnische Flüchtlinge zu betreuen waren.
Nach dem Ersten Weltkrieg war durch die Schaffung der Nachfolgestaaten der Monarchie eine vollständige Veränderung der Zusammensetzung der Hörerschaft eingetreten und den nun ausländischen nationalen Organisationen aus verschiedensten Gründen eine Weiterbetätigung im früheren Sinn verwehrt. So hatte die Lesehalle in Leoben seit 1923 ihren Betrieb weitestgehend eingestellt. Der letzte Obmann, Franz Dostal, gab denn auch am 9. Juli 1931 der Bezirkshauptmannschaft bekannt, daß der Verein sich mit Beschluß der Generalversammlung vom 14. Juni d. J. selbst aufgelöst habe. Ein interessantes Kapitel der Leobener Hochschulgeschichte hatte sein Ende gefunden.