Bergassessor Prof. Dr. h.c. Reinhard Schmidt
CORPS - Das Magazin Ausgabe 1/2019
Die Steinkohle war eine wesentliche Grundlage für den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands im 19. Jahrhundert
Das Ende des traditionsreichen und über tausend Jahre alten deutschen Metallerzbergbaus 1991/92 war von der Öffentlichkeit so gut wie nicht wahrgenommen worden, die Schließung der letzten Steinkohlenzechen am 21. Dezember 2018 war hingegen ein von Politik, Medien und Bevölkerung ambivalent aufgenommenes Ereignis. Grundlage für die Schließung war die Bestimmung der Europäischen Union, den dauerhaft subventionierten Steinkohlenbergbau nicht länger als bis 2010 zuzulassen. Der Kohlegipfel hatte im Jahre 2007 das Ende der Steinkohlenförderung für 2018 beschlossen. Das Saarland hatte das Auslaufen der Förderung bereits im Jahre 2012 erlebt, nun hat es die letzten beiden fördernden Schachtanlagen Prosper-Haniel in Bottrop und Ibbenbüren erfasst.
Es darf nicht vergessen werden, dass die industrielle Nutzung von Steinkohle Voraussetzung für die erste große, man kann sagen existenzielle Energiewende vom Holz zu den fossilen Brennstoffen war. Ohne die Kohle wären vermutlich die Wälder vernichtet worden. Metallurgische Prozesse waren in vorindustrieller Zeit mit Holzkohle bestritten worden, was in den Zentren des Erzbergbaus und der Verhüttung bereits zur Devastierung der Wälder geführt hatte. Der erste Kokshochofen ging 1849 in Betrieb.
Ohne die Steinkohle wäre auch der rasante Aufschwung der Wirtschaft ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland nicht denkbar gewesen. Die Eisenbahn, 1835 noch als "Vorortbahn", ab 1837 als erste Fernbahn von Dresden nach Leipzig eröffnet, hat eine neue Dimension der Mobilität geschaffen, Kohle und Stahl sind mit ihrem Siegeszug auf- und ausgebaut worden.
Die Industrialisierung auf Basis der Steinkohle hat auch erhebliche gesellschaftspolitische Umwälzungen zur Folge gehabt. In den ländlichen Regionen besonders an Rhein und Ruhr wuchsen Industriestandorte zu bevölkerungsreichen Zentren in einer bis dahin überwiegend landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft. Folge dieser rasanten Urbanisierung war auch die Herausbildung eines Industrieproletariats und eine Verschärfung der Klassengesellschaft. Die Bildung von Gewerkschaften und die Grundlagen der modernen Sozialversicherung bauten auf der Steinkohlenindustrie auf. Im Jahre 1854 wurde das Knappschaftsgesetz erlassen, 1885 die Knappschaftsberufsgenossenschaft gegründet. Im Jahre 2010 konnten wir das 750-jährige Bestehen der ersten Knappschaft begehen, die im Metallerzbergbau ihre Wurzeln hat und die älteste Sozialversicherung der Welt ist.
Im Bergwerk Prosper-Haniel schloss er letzte nicht nur die Tür, sondern auch eine Ära.
Der Aufstieg Deutschlands zur Industriemacht nach der Reichsgründung von 1871 ist ohne die Steinkohle eben so wenig vorstellbar wie das Wirtschaftswunder nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg. 1958 wurden von über einer halben Million Bergleute 125 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert, in den Folgejahren begann die erste Kohlekrise, während derer 31 Großzechen geschlossen wurden. 1968 wurde der Steinkohlenbergbau durch Gründung der Ruhrkohle AG (RAG) neu strukturiert. Selbst die Europäische Union findet ihre Wurzeln im EGKS-Vertrag (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) im Jahre 1952. 1974 war der "Kohlepfennig" auf Strom eingeführt worden, zu der Zeit arbeiteten noch rund 200.000 Bergleute in der Steinkohle.
Nicht vergessen werden soll, dass im Aufstieg und der gesamten Geschichte des Steinkohlenbergbaus zahlreiche Corpsstudenten an maßgeblicher Stelle beteiligt waren. Die beinahe legendären Bergassessoren hatten ihr Bergbaustudium in Freiberg, Berlin, Clausthal, Aachen und Leoben, zeitweise auch in Breslau und München absolviert, ihre Corps gehörten sowohl dem Kösener als auch dem Weinheimer Dachverband an.
Mit der Schließung der letzten beiden Zechen sind die Auswirkungen des Steinkohlenbergbaus keineswegs beendet. Das kleine sächsische Steinkohlerevier in Zwickau führt uns seit Jahren die sogenannten Ewigkeitslasten vor Augen. Einerseits hat der Abbau von mehreren Flözen im Laufe der Jahrzehnte die Oberfläche um über 10 m abgesenkt. Seit der Schließung der Gruben wurde auch die Wasserhaltung eingestellt, so dass nach Wiederanstieg des Grundwassers die am stärksten abgesenkten Stadtteile abzusaufen drohten, wenn nicht dauerhaft, das heißt auf ewige Zeiten gepumpt wird. Dieses steht dem Ruhrgebiet in weitaus größeren Dimensionen bevor. Ein ausgeklügeltes System der Wasserhaltung soll das mineralisierte, das heißt versalzte Grubenwasser kurzhalten, damit es nicht in Kontakt mit den höher liegenden Trinkwasserhorizonten kommt. Die Unterhaltung dieses Systems sowie die ewigen Pumparbeiten sollen nach einer Prognose rund 250 Millionen Euro im Jahr kosten. Diese Kosten sollen von der RAG-Stiftung beglichen werden, die im Rahmen der im Jahre 2007 getroffenen kohlepolitischen Verständigung zur Beendigung der subventionierten Steinkohleförderung gegründet wurde. Die Stiftung sollte auch die sozialverträgliche Beendigung des Steinkohlenbergbaus gewährleisten und den ausgegründeten "weißen Bereich" - vor allem Chemie - der RAG verselbstständigen.