Dr. Claus-Peter Clostermeyer Franconiae Tübingen, Hasso-Nasoviae und
Dr. Günther Riedel Franconiae Darmstadt
CORPS - Das Magazin Ausgabe 3/2021
Mit dem Begriff Forty-Eighters - englisch für "Achtundvierziger" - werden in den USA und in Australien die Einwanderer bezeichnet, die sich infolge der Niederschlagung der Revolutionen von 1848/49 - insbesondere der Märzrevolution in den Staaten des Deutschen Bundes - gezwungen sahen, aus Europa zu fliehen, und die in vor allem der "Neuen Welt", den USA also, Aufnahme fanden. Die Zahl der Australien-Auswanderer war vergleichsweise gering. Beide Staaten hatten damals noch keine Einwanderungsbeschränkungen.
Wie direkt auch Corpsstudenten in die gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um die Revolution von 1848 involviert waren, mag das Beispiel des "Gefechts bei Kandern" zeigen. Dort, im südwestlichen Zipfel des Großherzogtums Baden, trafen am 20. April 1848 auf dem Scheideckpass der Heidelberger Schwabe Friedrich Hecker, von dem im Folgenden noch die Rede sein wird, mit seinem badischen Revolutionszug auf Truppen des Deutschen Bundes unter dem Befehl des Generals Friedrich von Gagern, der zum Corps Hannovera Göttingen gehörte. In einem kurzen Kampf fiel von Gagern, Heckers Aufständische wurden versprengt. Ein enger Mitstreiter Heckers war Gustav von Struve, der dem Corps Bado-Württembergia Göttingen angehörte, das zu früh suspendierte, um noch Kösener Corps werden zu können.
Nach dem Scheitern der Märzrevolution, spätestens Mitte 1849, entwickelte sich eine bis dahin nicht gekannte Auswanderungswelle aus Europa. Besonders traf es das Großherzogtum Baden, in dem die Kämpfe des Jahres 1848 besonders hart gewesen waren: Nach der militärischen Niederschlagung der in ihrer letzten Phase bürgerkriegsähnlichen Badischen Revolution verließen etwa 80.000 Menschen ihre Heimat, was rund fünf Prozent der Bevölkerung entsprach. Schon bald wurden diese Menschen in den USA, aber auch in Australien, "48ers" genannt. Insgesamt verließen kaum weniger als eine halbe Million Deutsche ihre Heimat nach der Revolution von 1848/49 in Richtung USA. Diese 48ers fielen als Gruppe auf, weil sie weit gebildeter waren als durchschnittliche Auswanderer - und auch, weil viele von ihnen über "Schliff" verfügten, den man im Corps - oder einer anderen Korporation - bekam, dazu kam häufig Führungserfahrung im Militär. Wer als 48er erkennbar war, hatte in den USA gute Aufstiegschancen.
Im Jahre 1860 setzten sich viele der 48ers aktiv für die Wahl Abraham Lincolns zum US-Präsidenten ein. Damit oder auch durch politisches Engagement auf örtlicher Ebene ergriffen sie zugleich aktiv Partei gegen die Sklaverei. In der Konsequenz traten viele 48er im Amerikanischen Bürgerkrieg zwischen 1861 und 1865 freiwillig der Armee der Nordstaaten bei, insgesamt kämpften 200.000 Deutsche auf der Seite des Nordens - und damit gegen die Sklaverei; ein oft beschworenes Motto der deutschen Auswanderer war "ubi libertas, ibi patria" - "Wo die Freiheit ist, dort ist mein Vaterland". Wegen ihrer teils überschaubaren Englischkenntnisse wurden teils eigens deutsche Immigranteneinheiten in der Unionsarmee gebildet.
Einige der deutschen Ex-Revolutionäre machten in den Vereinigten Staaten öffentliche . journalistischem juristische und auch politische - Karrieren. Hier ist Lorenz Brentano zu nennen, der 1831 dem kurzlebigen, aber nicht unbedeutendem Corps Alemannia Heidelberg angehörte, das nicht mit der heute dort bestehenden Burschenschaft verwechselt werden darf. Brentano war 1848 und 1849 ein aktiver Revolutionär und trat später in den USA in den diplomatischen Dienst. In den 1870er-Jahren war er amerikanischer Konsul in Dresden. Anders als manche andere, die nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 wieder nach Deutschland zurückkamen, blieb Brentano jedoch seiner Wahlheimat Chicago treu. Erwähnt werden sollte auch Carl Schurz, Mitglied der Burschenschaft Frankonia Bonn, der 1848/49 an der Badischen Revolution beteiligt war und später Innenminister der USA wurde.
Revolutionäre Gesinnung verbindet sich in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts in Deutschland üblicherweise mit den Burschenschaften. Die Corps wirken dem gegenüber eher unpolitisch, in erster Linie der Pflege von Freundschaft und ehrenhafter Lebensart verpflichtet. Dass dies ein Fehlschluss ist, zeigen zahlreiche Corpsstudenten, die eine Rolle in der Revolution von 1848/49, aber auch später noch - wie der Hessen-Nassauer Wilhelm Liebknecht (1826 - 1900) - in der Sozialdemokratie spielten. Selbst Karl Marx (1818 - 1883) soll Angehöriger der Vorgängerin des Bonner Corps Palatia gewesen sein. Professor Dieter A. Binder (Graz und Budapest), selbst Mitglied einer katholischen Verbindung, erklärt dies mit dem corpsstudentischen Toleranzprinzip, das wohl aus der Freimaurerei stammt, und politisch alle Möglichkeiten offenlässt. Zu dem Begründer des "Wissenschaftlichen Sozialismus" meint er: "Man kann davon ausgehen, das er am charakteristischen Studentenleben seiner Zeit lebhaft teilgenommen hat."
Der deutsche Südwesten ist stolz auf seine "revolutionäre" Tradition der Jahre 1848/49. Nicht zu verkennen sind jedoch Unterschiede: Während die badische Regierung sich nach der Flucht des Großherzogs bis zum bitteren Ende in Rastatt uneingeschränkt auf die Seite der provisorischen Reichsregierung stellte, herrschte in Württemberg ein vorsichtigerer Kurs. Dies dürfte dem "schwäbischen" Volkscharakter eines "sowohl als auch", der über die Jahrhunderte festzustellen ist, entsprechen. Allerdings gab es aber auch immer wieder Feuerköpfe radikaleren Charakters. Ein solcher war Carl Theodor Greiner, der am 3. Juni 1849 nur 27-jährig als Anführer der "Schwäbischen Legion" erschossen wurde.
Aus bürgerlichem Hause stammend, der Vater war höherer Beamter im Königreich Württemberg, kam Greiner nach dem üblichen Bildungsgang an den württembergischen Klosterschulen 1841 zum Jurastudium an die Universität Tübingen. Als Senior des für republikanische Ideale eintretenden Corps Franconia wurde er schon 1842 "wegen Missachtung der Gesetze in Betreff des verbotenen Verbindungswesens" der Universität verwiesen. Nach einigem Hin und Her verließ er 1844 Tübingen ohne Abschluss. Nachdem sich seine Spur über Jahre verliert, tauchte er im Frühjahr 1849 als Redakteur des "Reutlinger Couriers" in der Nachbarschaft auf. Mit ihm entwickelte sich das Blatt zu einem energischen Befürworter der zunächst als kompromisslerisch kritisierten Paulskirchenverfassung, das schließlich den "Krieg der Völker gegen die Fürsten" forderte. Den Worten ließ Greiner Taten folgen und machte sich an die Organisation einer "Freiwilligen Compagnie". Diese rekrutierte sich - anders als die von gutbürgerlichen Kreisen der ehemaligen Reichsstadt gestellte Bürgerwehr - meist aus jungen Arbeitern und Gesellen und zählte bald 200 Mann.
Mit Haftbefehl gesucht, floh Greiner Ende Juni aus Württemberg und schloss sich in der Grenzstadt Pforzheim zusammen mit 28 Tübinger Studenten, darunter vier weiteren Franken, der "Schwäbischen Legion" an, die den Badischen Revolutionären zu Hilfe eilen wollte. Die Entschlossenheit der hier Versammelten ließ an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig: "Sieg oder Tod" stand zusammen mit einem Totenkopf auf der schwarz-rot-goldenen Fahne der Legion, die heute im Landesmuseum Zürich aufbewahrt wird. Bei Baden-Baden fand Greiner dann im letzten Rückzugsgefecht zusammen mit anderen seiner "Legionäre" am 30. Juni 1849 den Tod. Was genau dort geschah, darüber gibt es unterschiedliche Versionen: Greiner sei im Kampfe gefallen, in zeitgenössischen Berichten ist aber von einem Standgericht oder sogar seiner Ermordung als Gefangener durch preußische Soldaten die Rede.
In vielem steht Greiner exemplarisch für die Revolution, die - wie andere Revolutionen auch - durch ein Auseinanderfallen zweier Flügel gekennzeichnet war und unterschiedliche Kräfte mobilisierte. Greiner wurde so zum Sozialrevolutionär, der letztlich zu den Waffen griff. Ihm gelang es im Gegensatz zu anderen 48ern aber nicht, über Frankreich oder die Schweiz in die USA zu emigrieren. Dorthin wanderte sein Tübinger Corpsbruder Friedrich August Roesler (1815 - 1870) aus, der mitgeholfen hatte, seinen Namensvetter, den ob seiner bunten Kleidung, als "Reichskanarienvogel" bekannten Paulskirchen-Abgeordneten Adolf Rösler aus (dem bis 1792 württembergischen) Oels/Schlesien aus der Festung Hohenasperg im damaligen Königreich Württemberg zu befreien. Aus preußischer Sicht waren die Zustände dort eine "typisch süddeutsche Schlamperei".
Anders als die bekannten 48er, die in die Emigration gingen, hat Carl Theodor Greiner für seine Ideale mit dem Leben bezahlt. Er verdient es, in einer Reihe mit Friedrich Hecker, Georg Herwegh und Gustav Struve genannt zu werden.
Er war eine der schillerndsten Figuren der Badischen Revolution und zählt bis heute zu den bekanntesten 1848ern. Friedrich Hecker wurde 1811 als Sohn des Hofrats Josef Hecker in Eichtersheim/Kraichgau geboren. Zusammen mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder Karl studierte er an der Heidelberger Universität. Friedrich studierte ab 1830 Rechtswissenschaften und promovierte 1834 mit summa cum laude zum Doctor iuris. Karl studierte Medizin und war später Professor für Chirurgie. Während der Studentenzeit nannte man Friedrich den "roten" und Karl den "schwarzen" Hecker. Beide gehörten verschiedenen Corps an. Friedrich war bei den Heidleberger Corps Hassia, Palatia und Rhenania. Bei einer Auseinandersetzung mit dem Corps seines Bruders schickte Friedrich diesem sogar eine Mensurforderung. Seitdem hieß er bei Studenten der "krasse" Hecker.
Nach einem zweijährigen Rechtspraktikum erhielt Hecker eine Stelle am Oberhofgericht in Mannheim. Ab 1842 war er Abgeordneter der Badischen Kammer in Karlsruhe. Als ausgezeichneter Redner wurde er Führer der radikal-demokratischen Kräfte, die für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eintraten. Bei der Offenburger Versammlung 1847 unter der Leitung von Hecker und Gustav Struve wurden "Forderungen des Volkes in Baden" formuliert. Die Artikel verlangten Menschenrechte, persönliche Freiheit, Pressefreiheit sowie die Beseitigung der Karlsbader Beschlüsse von 1819. Mit Pressezensur, Verbot öffentlicher Meinungsäußerungen, Überwachung der Universitäten, Berufsverbot für liberale und national gesinnte Professoren sowie Verbot der Burschenschaften sollten freiheitliche Bewegungen unterdrückt werden. 1848 trafen sich zahlreiche liberal Denkende, darunter auch Hecker und Struve. Sie forderten eine nationale Vertretung des deutschen Volkes und wählten einen Ausschuss, um eine Nationalversammlung in Frankfurt im März vorzubereiten. Einem Aufruf Heckers und Struves zur Offenburger Volksversammlung folgten über 20.000 Menschen. Dort verabschiedeten sie ein Programm mit weitgehenden Forderungen und beschlossen die Bildung von "vaterländischen Vereinen".
Im Vorparlament zur Nationalversammlung in der Paulskirche scheiterten Hecker und Struve mit der Forderung, eine deutsche Republik auszurufen. Daraufhin versammelte Hecker im April 1848 in Konstanz seine Anhänger und rief die Republik aus. Württembergische Regierungstruppen drängten die bewaffneten Hecker-Anhänger in den Südschwarzwald zurück, die begeistert das Hecker-Lied sangen: "Dreiunddreißig Jahre währt die Knechtschaft schon. Nieder mit den Hunden von der Reaktion. Blut muß fließen knüppeldick, damit woll'n wir begießen die freie Republik. Wenn die Leute fragen, lebt der Hecker noch. Er hängt an keinem Baume, er hängt an keinem Strick, sondern an dem Traume der deutschen Republik."
Bei Kandern im südlichen Schwarzwald kam es während der Badischen Revolution am 20. April 1848 zu einem Gefecht zwischen Hecker mit knapp 1.000 Freischärlern und 2.000 Mann hessischer und badischer Bundestruppen. Die Aufständischen wurden nach kurzem Gefecht geschlagen und zerstreuten sich. Kleinere Gruppen von Aufständischen wurden entwaffnet. Hecker flüchtete in die nahe Schweiz.
Am 18. Mai 1848 versammelten sich in der Frankfurter Paulskirche die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten. Unter den über 800 Abgeordneten waren fast 300 Vertreter studentischer Korporationen, darunter über 170 Burschenschafter und etwa 120 Corpsstudenten.
Im September 1848 verließ Hecker in Le Havre zusammen mit zwei Freunden auf einem Schiff Europa. Er kam am 5. Oktober in New York an und wurde von 20.000 begeisterten Menschen als deutscher Freiheitskämpfer empfangen. In Summerfield/Illinois erwarb er eine Farm und wurde Viehzüchter.
Als eine provisorische Revolutionsregierung im Frühjahr 1849 in Karlsruhe die Macht übernahm, wurde Hecker um Hilfe und Rückkehr gebeten. Hecker folgte diesem Ruf, aber als er in Straßburg ankam, war Baden bereits von preußischen Truppen besetzt. Resigniert kehrte er in die Vereinigten Staaten zurück.
Ab 1856 betätigte er sich wieder in der Politik. Beim Wahlkampf für die Republikanische Partei unterstützte er als Redner Abraham Lincoln, der einen Sitz im Kongress anstrebte. Auch bei den Präsidentschaftswahlen 1860 unterstützte er Lincoln, der schließlich Präsident der USA wurde. Die Südstaaten erkannten seine Wahl nicht an, sodass es zum blutigen Bürgerkrieg zwischen Süd- und den Nordstaaten kam.
Hecker meldete sich zusammen mit seinem Sohn Arthur als Freiwilliger zur Armee der Nordstaaten und führte als Oberst ein Regiment von Freiwilligen ("Hecker-Jäger") unter General Franz Sigl, einem Mitstreiter während der Badischen Revolution. Später kämpften Hecker und sein Sohn unter dem Kommando von Carl Schurz, der ebenfalls badischer Revolutionär war. In Virginia wurde Hecker schwer verwundet. Nach seiner Genesung kehrte er wieder zur Truppe zurück. 1864 bat er General Howard um seine Entlassung, weil er mehrfach bei einer Beförderung übergangen worden war. Hecker ließ sich daraufhin wieder als Farmer in Illinois nieder.
1873 brach Hecker zu einer Deutschlandreise auf. In Mannheim wurde er von über 10.000 Menschen mit großem Jubel empfangen. Zum Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung hielt er in Stuttgart eine Rede, bevor er wieder in die USA zurückkehrte. Hecker starb am 24. März 1881 auf seiner Farm und wurde nach einer Trauerfeier mit über 1.000 Trauergästen beigesetzt. 1882 wurden in St. Louis und 1883 in Cincinatti Hecker-Denkmale enthüllt.