Prof. Dr. R. Döhler Masoviae,
Vorsitzender des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung
CORPS - Das Magazin Ausgabe 4/2020
Der heiligen Kirche schimmernde Wehr ist der Kösener SC-Verband nie gewesen. Das sind in Österreich und in der CDU eher die katholischen Verbände, mit Rapier und "Spohohorenklang", auch wenn sie mit dem Schläger nur auf den Tisch hauen und Silentium gebieten. Ein bisschen anders war das mit den evangelischen Kirchen. Bismarck, der Übervater der Corpsstudenten, führte einen Kulturkampf und verübelte es den Pfarrern bestimmt nicht, wenn sie auf den Kanzeln Preußen rühmten. Preußens Tugenden waren durchaus protestantisch, und mehrheitlich neigten die Corps zur kleindeutschen Lösung; aber die Corps waren auch in katholischen Provinzen und Ländern verwurzelt. Im Königreich Bayern hatte allein Suevia München mehr als 50 Priester in ihren Reihen. Noch in Landshut war Franz Xaver Markmiller aktiv. Als Pater Magnobonus gründete er 1851 die Bayerische Ordensprovinz der Barmherzigen Brüder des Hl. Johannes von Gott. Er war ihr erster Provinzial. Dem Corps Suevia blieb er zeitlebens als Renoncephilister verbunden. - Der Isare Heinrich Hofstätter war von 1839 bis 1875 Bischof in Passau. - Dass Gregor v. Scherr Palatiae München Benediktinerabt und Erzbischof war, wird wohl in jeder Fuchsenstunde erzählt. Weniger bekannt, aber politisch gewichtiger ist Anton Westermayer Bavariae München. Als Domprediger in Regensburg wegen Majestätsbeleidigung abgesetzt, saß er 1849 - 1871 in der Bayerischen Abgeordnetenkammer und 1874 - 1884 im Reichstag. - Albert Wildauer Rhaetiae war Benediktiner und über 39 Jahre Abt des Stifts Fiecht.
Im österreichisch-preußischen Schlesien war Breslau nicht nur ein Zentrum des deutschen Judentums (nach Berlin und Königsberg), sondern auch die Hauptstadt einer katholischen Provinz. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Breslauer Senioren-Convent 16 Priester hervorgebracht, Silesia vier, Lusatia fünf und Borussia sieben. Für den preußischen Katholizismus in den Breslauer Corps steht Ernst Wahner, Breslauer Preuße, Sachse und Lausitzer sowie Greifswalder Westfale. Adolph Hermiersch Silesiae, Erzpriester in Oberschlesien, wurde 1879 und 1882 in das Preußische Abgeodnetenhaus gewählt.
Bismarck, Träger des Pour le Mérite mit Eichenlaub und des Schwarzen Adlerordens, steht eben auch für die sprichwörtliche Toleranz Preußens. Man ließ gegensätzliche Standpunkte gelten, solange sie dem Gemeinwesen dienlich waren. Ein prominenter Widersacher Bismarcks war der Göttinger Westfale Wilhelm v. Ketteler, Bischof von Mainz und Reichstagsabgeordneter, Gründer der Zentrumspartei und Spiritus rector der katholischen Soziallehre. Er stellte sich gegen die Unfehlbarkeit des Papstes und förderte die neuen katholischen Studentenverbindungen. Dass Haltung mehr galt als Ansicht, verband Preußen mit dem Corpsstudententum. Ansichten gehören zur Politik und verführen zur Rechthaberei. Das zeigt sich bei den Deutschen Christen und bei den 68-ern. Drei Corpsstudenten wurden als Deutsche Christen bekannt:
Auf der Gegenseite, in der Bekennenden Kirche, exponierten sich sieben Corpstudenten:
Der schicksalhafte oKC am 5. Juni 1935 wurde mit einem Feldgottesdienst eröffnet. Gehalten wurde er von Meinhold 1 Masoviae IdC, der Marinepfarrer war.
EINIGKEIT UND RECHT UND FREIHEIT
Der Hallenser Sachse Ludwig Hildenhagen (1809 - 1893), Abgeordneter in Preußens Nationalversammlung und Landtag, forderte die demokratisch-konstitutionelle Monarchie. - Zu den großen Liberalen im liberalen Baden gehören der Gießener Franke Ludwig Hüffell (1784 - 1856), Prälat der Evangelischen Landeskirche in Baden, und Karl Zittel Saxoniae Jena. - Ein Gießener Franke war auch Friedrich Weidig, ein Protagonist des Vormärz und Wegbereiter der Deutschen Revolution. Der "hessische Turnvater" gehörte zu den Liberaldemokraten, die ein vereinigtes Deutschland als demokratischen Nationalstaat anstrebten. Das war im reaktionären Hessen ein gefährliches Unterfangen. In den Vogelsberg strafversetzt, wiederholt verhaftet und misshandelt, setzte Weidig 1837 seinem Leben ein Ende. Verteidigt hatte ihn sein Schwager, der Burschenschafter Theodor Reh. Im Mai 1849 war er der letzte Präsident des Paulskirchenparlaments.
Die Paulskirche wird manchmal als Akademikerparlament belächelt. Geflissentlich übersehen werden dabei die Verfolgung und existenzielle Drangsalierung der 1848-er. Zu den vielen Corpsstudenten gehört der Badener Pfarrer Friedrich Wilhelm Henninger (1817 - 1881). Er war in den seligen Zeiten vor der Kreispolitik aktiv, bei Suevia Heidelberg, Franconia Jena und Lusatia Leipzig. Ende 1848 hielt er auf einer Trauerfeier für den erschossenen Robert Blum eine zündende Rede gegen das Metternichsche System. Sein Bart brachte ihm eine Anklage wegen Hochverrats ein [Egbert Weiß Lusatiae EM, Marchiae Berlin: Der Bart des Pfarrers Henninger. Ein Corpsstudent in der Badischen Revolution 1849. Einst und Jetzt, Bd. 26 (1981), S. 83-87.] - 1848/49 saß in der Abgeordnetenversammlung Mecklenburgs der Göttinger Vandale Carl Masch. Als Pastor in Schönberg und Demern war er einer der bedeutendsten Landeshistoriker in Mecklenburg-Schwerin.
GEISTIGKEIT IN DER GEISTLICHKEIT
Übertragungen von antiker griechischer Literatur ins Niedersorbische hat es nicht gegeben? Doch, von Christian Friedrich Stempel, einem der Stifter von Lusatia Leipzig, Oberpfarrer in Sankt-Nikolai in Lübbenau. Er setzte sich für die Erhaltung des sorbischen Volkstums ein und schrieb sorbische Sagen, Fabeln und Märchen nieder. Zwei weitere Sorben bei Lusatia waren Martin Buckwar, Teilnehmer an der Völkerschlacht, und Hendrich Imis. Er focht 14 Mensuren, davon zwei auf Pariser und zwei auf Säbel, und stellte sich einem Pistolenduell. Von 1851 bis 1897 war er Pfarrer in der Oberlausitz. - Karl Nietzki Masoviae wurde Pfarrer in Zinten, wo er mit 48 Jahren starb. Seine Werke gelten als die "Geburtsstunde ostpreußischer Literatur" (Hubert Orlowski). In seinem Roman Die Stimme des Vaterlands erinnert er an sein Corps. - Von 1915 bis 1934 lehrte Hugo Rothert westfälische Kirchengeschichte an der Universität Münster. 1935 stand er in Kürschners Gelehrtenkalender.
Ein großer Vogelkundler war der Alsfelder Pfarrer Karl Müller. 1844 bei Teutonia Gießen recipiert, machte er sich einen Namen als herausragender Mensurfechter. Mit seinem Bruder, einem Oberförster in Mittelhessen, schrieb er erfolgreiche Bücher über das, was da kreucht und fleucht. Alfred Brehm Saxoniae Jena besuchte ihn wiederholt im Alsfelder Pfarrhaus. - Ebenfalls in Hessen verwurzelt war Wilhelm Flegler (1848 - 1935). Als Angehöriger der Hassia Gießen war er 1868 einer der drei oKC-Vorsitzenden. Er war ein Protagonist des Corpsstudententums und ein Mitstreiter von Leonhard Zander, dem berühmten Reformer des KSCV.
Nur 34 Jahre lebte Arnold Schleiff Thuringiae Jena, Dozent für Kirchengeschichte an der Albertus-Universität. Er kam unverwundet durch die Zerstörung Königsbergs, blieb aber seit Herbst 1945 verschollen. Sein Publikationsverzeichnis ist stattlich.
Viktor Schultze (1851 - 1937), Begründer und Wegbereiter der Christlichen Archäologie, war 1873 bei der kurzlebigen Alemannia Basel aktiv geworden. Er war über 37 Jahre Ordinarius in Greifswald und Ehrendoktor in Dorpat, Athen und Greiswald. Dasselbe Fach vertrat der Göttinger Sachse Ernst Adalbert Voretzsch (1908 - 1991) in Greifswald und Erlangen. - Walter Felix Bauer (1877 - 1960) Hasso-Nassoviae ist Schöpfer des Griechisch-Deutschen Wörterbuchs zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur. Noch heute ist es ein mehrfach übersetztes Standardwerk. - Otto Fock Rhenaniae Bonn habilitierte sich 1843 in Kiel für Historische Theologie. Als Redakteur der demokratischen Neuen Freien Presse unterstützte er 1848 die Schleswig-Holsteinische Erhebung. 1850 wurde er in die Schleswig-Holsteinische Landesversammlung gewählt. In Stralsund widmete er seine letzten 20 Jahre der Geschichte Pommerns. - Ebenfalls für Historische Theologie habilitierte sich Friedrich Michael Schiele Franconiae Tübingen. Trotz seiner Tuberkulose wurde er 1910 Pfarrer an der Dorotheenstädtischen Kirche in Berlin. Was er "für die Entwicklung neuen deutschen Geistesleben bedeutet hat, ist nur den wenigsten bekannt geworden, da er bescheiden mit seinem Namen in den Hintergrund trat. Sein Werk ist ein Denkstein" (Felix Meiner).
Als Superintendent in Meseritz vertrat der Leipziger Sachse Eduard Vater den Wahlkreis Posen im Preußischen Abgeordnetenhaus. - Kann man als Pfarrer in der Rheinprovinz Regierungs- und Schulrat in Aachen sein, in den Bergbau wechseln, das Preußische Finanzwesen neu ordnen, in den Preußischen Landtag gewählt werden und in Galizien eine Zuckerraffinerie leiten? Man kann. Jacob Bredt Rhenaniae Bonn EM hat es in seinen 49 Lebensjahren vorgemacht. - Im Abgeordnetenhaus saß auch Albert Florschütz Guestphaliae Bonn. Als Pfarrer in Iserlohn schrieb er zur Geschichte der Provinz Westfalen zwischen 1848 und 1858, darin unter anderen über die Herausbildung einer Arbeiterschaft. Ganz aktuell ist der Titel des anderen Buches: Türken und Türkenthum: kurze Zusammenstellung der Glaubens- und Sittenlehre des Koran mit Bezug auf das Verhältnis zum Christenthume (1855).
Bis heute bekleideten 315 Corpsstudenten Rektorate von Universitäten, darunter sieben Ordinarien für Theologie. Der Orientalist und Theologe Andreas Gottlieb Hoffmann in Jena wäre der achte. Seine Teutonia Halle steht zwar in den Korpslisten von 1910, gehört aber in das burschenschaftliche Lager.
WORTVERKÜNDIGUNG UND SEELSORGE
Dass die Kirche nicht nur politische Aufgaben hat, ist eine erstaunliche Erkenntnis - wenn sie Deutschlands Oberhirten dämmert (H. Bedford-Strohm, November 2020). Zentrale Aufgaben eines Pastors - eines Hirten - sind die Verkündigung von Gottes Wort und die Seelsorge. Carl Walter (1789 - 1854) Vandaliae Rostock war Oberhofprediger in Schwerin und Seelsorger für drei Generationen der Obodriten des Hauses Mecklenburg. - Friedrich Strauß war in Berlin erst Rektor, dann geistlicher Rat im Kultusministerium. In der Märzrevolution 1848 soll er Friedrich Wilhelm IV. zum Nachgeben bewogen haben. Seit 1850 Oberkirchenrat, wurde er 1856 Oberhofprediger. - Der Lausitzer Albert Heym (1808 - 1878) war in Sacrow Seelsorger von Friedrich Wilhelm IV., Wilhelm I. und Kronprinz Friedrich Wilhelm. Er taufte und konfirmierte den nachmaligen Kaiser Wilhelm II. - Der Hallenser Preuße Adolf Stoecker (1835 - 1909) war aus der Neoborussia unter anderem deshalb ausgetreten, weil er die Verballhornung des christlichen Glaubens in Form von Biertaufen nicht mehr mitmachen wollte. Zunächst Pfarrer in der Altmark, gehörte er in Berlin zur Hofgeistlichkeit. Er begründete die Berliner Stadtmission und politisierte den Antisemitismus. - Ludwig Flügge (1808 - 1883), Angehöriger der Göttinger Lunaburgia II, stärkte in Hannover die Innere und Äußere Mission. Dort gründete er die Pestalozzi-Stiftung und den Gustav-Adolf-Verein. - Viktor Habicht war in Gießen bei Rhenania aktiv und stiftete Marcomannia; Gießener Hesse war er zeitlebens. Seit 1885 Prälat der Hessischen Landeskirche, saß er bis zu seinem Tod in der Ersten (!) Kammer der Hessichen Landstände. Er war Mitbegründer des Darmstädter Armenvereins, Vorsitzender der Mathildenstiftung, des hessischen Gustav-Adolf-Werks und des Pfarrwaisenvereins. 1898 begleitete er Kaiser Wilhelm II. auf seiner Palästinareise.
In Halle war Neoborussia ein ausgesprochenes Theologen- und Philologencorps. Von ihren Pfarrern saßen Richard Schumann und der Pestalozzi-Verehrer Ludwig Seyffarth im Preußischen Abgeordnetenhaus. - Ein großer Seelsorger und Schulmann war der Ansbacher Johann Matthias von Meyer (1814 - 1882), zuletzt Oberkonsistorialpräsident (Landesbischof) der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern. Als Dogmatiker und Universitätsprediger in Erlangen gehörte sein Corpsbruder Georg Thomasius zu den einflussreichsten Vertretern der lutherischen Erweckungstheologie.
1945 übernahm Georg Künstler, ein Breslauer Preuße aus Ostpreußen, in einem dänischen Internierungslager (Oksbol?) die Seelsorge für Tausende Flüchtlinge. Da war er 81 Jahre alt. Im Januar 1947 mit seiner Frau und anderen Lagerinsassen nach Deutschland abgeschoben, war er in Altendiez noch bis zum 90. Lebensjahr in der Krankenhaus- und Altenseelsorge tätig.
Nach 1945 wurden nur wenige Theologiestudenten in Corps aktiv. CV, KV und Wingolf waren nicht so mühsam. In der Inneren Mission von München verwurzelt, wurde Friedrich Hofmann Bavariae Erlangen 1957 erster Generaldekan der Bundeswehr. Drei Göttinger Sachsen taten sich in der Kirchenarbeit hervor: Christian-Erdmann Schott (1932 - 2016), über 31 Jahre Gemeindepfarrer in Mainz, befasste sich zeitlebens mit der Kirchengeschichte Schlesiens. Er war Bundespfarrer der Johanniter-Unfall-Hilfe und Ehrenkommendator des Johanniterordens. Sein Corpsbruder Henry v. Bose saß im Vorstand des Diakonischen Werks Württemberg und war Landespfarrer der JUH. Als Major i.G. geriet Wilfried v. Zitzewitz 1944/45 in den Kurland-Kessel. Als Generalstabsoffizier zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, wurde er 1953 nach achteinhalb Jahren entlassen. Er studierte in Erlangen Theologie und wurde Pfarrer in Altdorf und Lohr. Mit 95 Jahren starb er an Silvester 2009. - Trotz einer schweren Verwundung wurde Werner Schröder (1924 - 2019) 1949 in Erlangen bei Misnia IV und Lusatia aktiv. Lusatias Kartellcorps Rhenania Tübingen recipierte ihn 1951. Er war Landessuperintendent des Sprengels in Ostfriesland. Als promovierter Theologe wurde Helmut Umbach 1994 bei Teutonia-Hercynia Göttingen aktiv. 41 Jahre alt und verheiratet, bestritt er eine reguläre Aktivität mit Fuchsen- und Aktivenzeit. Er focht vier Mensuren und führte mehrere Chargen. Als Dekan in Fritzlar habilitierte er sich 2004 an der Universität Kassel.
BALTIKUM
In baltischen Korporationen waren die Theologen sehr stark vertreten. Zwischen 1816 und 1900 traten in Kurland 355 Pastoren ihr Amt an, davon allein 175 Curonen. Unter ihnen waren fünf Generalsuperintendenten, drei Bischöfe und 40 Pröpste. Reinhold Seeberg (1859 - 1935) Neobaltiae Dorpat, Vater von Erich Seeberg, war Dekan der Theologischen Fakultät in Berlin und Doktorvater von Dietrich Bonhoeffer.
LAND DER DUNKLEN WÄLDER
Völlig vergessen ist "natürlich" die große Bedeutung der corpsstudentischen Geistlichkeit für Ostpreußen, besonders in der Zeit vor dem Progress. Die 1851 gestiftete Baltia brachte in den ersten 30 Jahren nur neun Geistliche hervor. Hingegen stellte Littuania in ihren ersten 20 Jahren - von 1829 bis zum fatalen Progress - 56 Pfarrer. Viele amtierten in Preußisch Litauen (Tilsit, Memel, Ragnit). Waldemar Hoffheinz (1823 - 1897) war Superintendent von Tilsit, der "Stadt ohnegleichen". In Gumbinnen predigten sechs, in Pillkallen vier Littauer. Mertineit, Loebell und Färber hatten ihre Pfarre in Schirwindt, der östlichsten Stadt Ostpreußens. Nirgendwo im Deutschen Reich ging die Sonne früher auf, bei gleicher Zeitzone eine halbe Stunde eher als in Berlin. Von der Stadt und ihrer doppeltürmigen Immanuel-Kirche gibt es seit 1945 nichts mehr.
Vor dem Progress (1825 - 1848) studierten bei Masovia 155 Corpsbrüder Theologie. 136 wurden Pfarrer, vier Priester, fast alle in Ostpreußen. Angehende Theologen waren denn auch Masovias erste Senioren, Friedrich Rübsamen und August Müller.
Sechs masurische Pfarrer - Großjohann, Heinrici, Hensel, Rehaag, Schadebrodt und Schumann - wurden in das Preußische Abgeordnetenhaus gewählt. Nach dem Ersten Weltkrieg initiierte Hensel die triumphale Volksabstimmung im südlichen Ostpreußen. In Masuren hüteten die evangelischen Pfarrer ein einzigartiges Erbe: die polnische Sprache, den evangelischen Glauben und die Königstreue der Masuren. Der Masure Gisevius starb mit 38 Jahren, wurde aber 100 Jahre nach seinem Tod zum Namensgeber für Gizycko, das vormalige Lötzen. Auch August Ballnus, einer von Masovias Stiftern, wirkte in Masuren segensreich. Als Pfarrer Lyck und Cychen wurde er 1848 in die Preußische Nationalversammlung gewählt. Im Preußischen Landtag kämpfte er für das humanitäre Völkerrecht, gegen die Todesstrafe und gegen die Aufrechterhaltung von Privilegien des Staates und der religiösen Orden. Seit 1862 Superintendent des Kirchenkreises Oletzko, stiftete er für verwaiste und obdachlose Kinder das Ballnusssche Waisenhaus. Als er mit 63 Jahren gestorben war und in Oletzko beerdigt wurde, erwiesen ihm (entgegen seinem letzten Wunsch) Massen von Menschen und viele Würdenträger aus Staat und Kirche die letzte Ehre. Im heutigen Masuren wird seiner noch gedacht.
26 Jahre lang, über den Ersten Weltkrieg hinweg, war Hans Ebel (1859 - 1920) Pfarrer in Muschaken. Wie niemand sonst verbesserte er im armen Kreis Neidenburg die Lebensbedingungen seiner Gemeindeglieder. "Was können denn die Leute dafür, wenn der Schöpfer ihnen den Unverstand mit auf den Weg gegeben hat. Und Gott hat in seiner Weisheit den Unverstand gleichmäßig auf alle Stände verteilt. Wir aber sind dazu berufen, auch den Verstand der Leute zu bilden".
Wie sagte Kardinal Ratzinger 2004 zum D-Day? "Ein Gemeinwesen, das nicht im Geistigen wurzelt, geht unter." Das gilt wohl auch für die Corps, deren Bänder sich viele Theologen erfochten haben.
Am Reformationstag 2020 fertiggestellt, ist dieser Beitrag auch ein Dank an die Potsdamer Masuren. Sie tragen das Königsberger Erbe in sich und haben Masovia in 20 Jahren zu neuem Leben erweckt.