Prof. Dr. Matthias Stickler KDStV Gothia-Würzburg im CV
CORPS - Das Magazin Ausgabe 3/2021
Schon Heinrich Heine, der ursprünglich der Bonner Burschenschaft angehörte, sich dann aber in Göttingen dem späteren Corps Guestphalia anschloss, dem er in seinem Versepos "Deutschland ein Wintermärchen" ein literarisches Denkmal setzte, lästerte rückblickend über die Namen der Verbindungen seiner Zeit. So heißt es in seiner Harzreise von 1824 über Göttingen: "Einige behaupten sogar, die Stadt sei zur Zeit der Völkerwanderung erbaut worden, jeder deutsche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar seiner Mitglieder darin zurückgelassen, und davon stammten all die Vandalen, Friesen, Schwaben, Teutonen, Sachsen, Thüringer usw., die noch heutzutage in Göttingen, hordenweis und geschieden durch Farben der Mützen und der Pfeifenquäste, über die Weenderstraße einherziehen, auf den blutigen Walstätten der Rasenmühle, des Ritschenkrugs und Bovdens sich ewig untereinander herumschlagen, in Sitten und Gebräuchen noch immer wie zur Zeit der Völkerwanderung dahinleben und teils durch ihre Duces, welche Haupthähne heißen, teils durch ihr uraltes Gesetzbuch, welches Komment heißt und in den legibus barbarorum eine Stelle verdient, regiert werden." Auch heute sind Verbindungsnamen immer wieder Gegenstand des Spotts von Kritikern des Verbindungswesens und werden gerne als Argument für dessen angebliche Rückwärtsgewandtheit angeführt. Dies hängt auch damit zusammen, dass die meisten Verbindungsnamen und vor allem die immer noch verbreitete Praxis des Latinisierens ein einer Welt, in der das Englische die Leitsprache ist, eine gewisse Fremdartigkeit ausstrahlen, um das einmal wertfrei zu formulieren. Hinzu kommt, dass die modernen deutschen Universitäten sich heute kaum noch als echte Traditionsgemeinschaften verstehen, sondern vor allem als Motoren des wirtschaftlichen beziehungsweise gesellschaftlichen Fortschritts. Altertümliche und damit erklärungsbedürftige Namen werden da zumeist bestenfalls als unpassend empfunden.
Demgegenüber muss man festhalten, dass Verbindungsnamen eine lange akademische Tradition haben, die Praxis des Latinisierens verweist auf die Gelehrtensprache Latein, die noch bis ins 20. Jahrhundert eine wissenschaftliche Leifunktion hatte. Die ältesten Verbindungsnamen sind landsmannschaftlich geprägte Namen wie Franconia, Rhenania, Saxonia, Guestphalia oder Bavaria, aber auch Onoldia (Ansbach), Baruthia (Bayreuth) oder Lusatia (Lausitz). Diese gehen auf die älteren Landsmannschaften beziehungsweise Corps zurück und spiegeln kantonale Rekrutierungspraktiken aus einer Zeit wider, als Verbindungen noch Selbstschutzorganisationen von Studenten waren, die aus der gleichen Gegend stammten. Namen germanischer Stämme kamen als Folge der nationalen Bewegung im frühen 19. Jahrhundert auf. Bereits ab 1815 kann man diesen Vorgang in der burschenschaftlichen Bewegung beobachten. Namen wie Germania, Arminia (nach dem Cheruskerfürsten Arminius, der die Römer 9 n. Chr. im Teutoburger Wald besiegte) oder Teutonia verwiesen hierbei auf das nationale Programm der Burschenschaften und sind bis heute für diese charakteristisch. "Nationale" Verbindungsnamen sollten an der Stelle der überkommenen partikularen Namen treten, wobei "die Germanen" undifferenziert als Vorfahren der Deutschen und die Schaffung eines deutschen Nationalstaats als Ziel einer angeblich zweitausendjährigen deutschen Geschichte interpretiert wurden.
In dem Maße, wie das Verbindungswesen seit Mitte des 19. Jahrhunderts insgesamt expandierte und sich in Verbänden pluralistisch auffächerte, entstand das Problem, dass immer mehr neue Namen gebraucht wurden, weil die Universitäten als Genehmigungsinstanz die Maßgabe, dass es Namen und Farben nur jeweils einmal geben dürfe, streng kontrollierten. Je mehr Verbindungen es an einem Hochschulort gab, desto erfindungsreicher musste man daher bei der Wahl des Namens sein. Und das wiederum führte dazu, dass immer mehr völkerwanderungszeitliche Namen "ausgegraben" wurden, etwa Burgundia, Gothia, Langobardia oder Nibelungia bis hin zu sarmatischen Namen wie zum Beispiel Vindelicia oder slawischen wie Obotritia. Es ist bemerkenswert, dass hier nicht-germanische Namen historisch in einen letztlich "nationalen" Kontext eingebunden wurden. Anders verhält es sich zum Beispiel beim Namen Vandalia, der, zumindest bei älteren Verbindungen, insbesondere auch bei den Corps (etwa Vandalia Rostock), meist für das Land Mecklenburg steht, dessen Herzöge und Großherzöge den Titel eines "Princeps Vandalorum" führten; gemeint waren damit eigentlich die slawischen Wenden, die von mittelalterlichen Chronisten offenbar mit den germanischen Vandalen verwechselt wurden. Die Beliebtheit germanischer Verbindungsnamen im 19. Jahrhundert und die Art und Weise, wie man diese, etwa auf Couleurkarten, ins Bild setzte, hat auch etwas mit dem Werk Richard Wagners zu tun. Dieser begründete mit seinen Opern, vor allem mit dem "Ring des Nibelungen", und den Bayreuther Festspielen eine Tradition, wie "die Germanen" (angeblich) aussahen. Der typische "Theater-Germane" mit dem Flügelhelm ist eine historische Erfindung, die gleichwohl damals für historisch gehalten wurde. Auf dem Umweg über die Wagner-Opern, aber auch über "Professoren-Romane" wie "Ein Kampf um Rom" von Felix Dahn verbreitete sich die Vorstellung einer idealisierten germanischen Vorzeit im Bürgertum.
Daneben hatten bei Verbindungsneugründungen aber auch weiterhin landsmannschaftliche Namen Konjuktur, ebenso solche die sich an Flüssen orientierten wie Aenania (Inn), Visurgia (Weser), Athesia (Etsch) oder Sprevia (Spree) oder Herrscherdynastien wie Stauffia, Guelfia, Austria oder Ascania. Im Zuge der erwähnten Pluralisierungsvorgänge entstanden aber auch Verbindungsnamen, die charakteristisch für ganz bestimmte Verbände sind: So gibt es etwa bei den katholischen Verbindungen den Namen Winfridia, der Bezug nimmt auf den heiligen Bonifatius (cirka 673 - 754/55), den "Apostel der Deutschen"; dieser war Angelsachse und hieß ursprünglich Winfried. Interessant ist, wie katholische Verbindungen auf diese Weise versuchten, gewissermaßen eine nationale katholische Tradition zu stiften. Bemerkenswert ist, dass nach dem Ersten Weltkrieg beim CV dezidiert deutsche Namen eine Konjunktur erlebten, etwa Kaiserpfalz, Trifels, Elbmark oder Greifenstein. Bei den zionistischen jüdischen Verbindungen entwickelte man Alternativen zu den typisch deutschen Verbindungsnamen, indem auf hebräische Wörter oder Persönlichkeiten beziehungsweise Ereignisse der jüdischen Geschichte zurückgegriffen wurde; häufig wurden diese Namen ebenfalls latinisiert. Ähnlich wie bei der deutschen Nationalbewegung ging es hierbei um Umdeutung einer idealisierten Vergangenheit im nationaljüdischen Sinne. Nennen kann man in diesem Zusammenhang etwa Namen wie "Maccabaea", "Hasmonaea" und "Bar Kochba", die rekurrieren auf jüdische Aufstände in der Antike gegen Fremdherrschaft, konkret auf die Makkabäer beziehungsweise Hasmonäer und auf den Feldherrn Simon bar Kochba. Weniger martialisch waren dagegen programmatische hebräische Namen wie Kadimah ("vorwärts", "ostwärts" im Sinne des zionistischen Siedlungsprogramms in Palästina), Zephira ("Morgendämmerung"), Hatikwah ("Hoffnung"), Ivria (" die Hebräische") oder Jordania (der Fluss Jordan als jüdisches Nationalsymbol).
Zusammenfassend kann man sagen, dass als Folge der Pluralisierung des Verbindungswesens ein ebenso plurales Namenswesen entstanden ist. Warum eine Verbindung ihren Namen trägt, muss deshalb, wie etwa das erwähnte Beispiel Vandalia zeigt, zumindest bei den jüngeren Verbindungen stets quellenfundiert untersucht werden. Bestimmte verbandspezifische Besonderheiten, etwa bei den Burschenschaften, den Corps oder den katholischen Verbindungen sind häufig bis heute erkennbar. Bei den Kösener und Weinheimer Corps hat sich, wenn ich recht sehe, die ursprünglich landsmannschaftliche Namensgebung in erheblichen Umfang erhalten. Ausnahmen bestätigen hier meistens die Regel, etwa das Münchner Corps Germania im WSC, das ursprünglich einmal als Burschenschaft gegründet wurde und seinen Namen behielt, als es Corps wurde.