Quelle: Salzburger Nachrichten, 22.01.2011, Alexander Purger (Purgertorium)
Eine Kreisky-Geschichte, die wir unserem Kollegen Martin Haidinger verdanken.
Im April 1985 veranstalteten einige Couleurstudenten eine Gedenkkneipe anlässlich des 100. Geburtstags von Egon Erwin Kisch. Der „rasende Reporter" war nicht nur jüdischer Herkunft und Kommunist, sondern während seiner Studentenzeit in Prag auch Mitglied der schlagenden Burschenschaft „Saxonia Prag" gewesen.
Bei der Gedenkkneipe in Wien waren Angehörige von schlagenden deutsch-nationalen, freisinnig-liberalen und nicht schlagenden katholischen Verbindungen anwesend. Sogar einige Alte Herren von jüdischen Verbindungen waren extra aus Israel und den USA angereist. Einer von ihnen erzählte folgende Geschichte: „Eines Tages ist mein Bundesbruder, ein gewisser Oskar Kreisky, zu uns auf die Bude gekommen und hat ein schmales Bürschchen im Schlepptau gehabt. ,Das ist mein Neffe Bruno', hat er gesagt, ,schaut ihn euch einmal an.' No, der junge Mann hat nicht getrunken, er hat nicht gesungen, ist nur still dagesessen... Er ist auch nie mehr wiedergekommen." - Und dann fügte der Alte Herr noch scherzhaft hinzu: „Wer weiß, was aus dem wohl geworden ist?"
Dem anwesenden Martin Haidinger, damals 15 Jahre alt, ließ die Sache keine Ruhe und er schrieb an den alten Bruno Kreisky einen Brief mit der Frage, ob denn die Geschichte stimme und ob er jemals Fühlung mit dem Couleurstudententum gehabt habe.
Daraufhin erhielt Haidinger folgenden Brief: „Lieber Herr Haidinger! Einer meiner Onkel, Dr. Otto Kreisky, Rechtsanwalt in Wien, wurde mit seiner Frau aus Wien deportiert und in Auschwitz vergast. Der zweite Onkel war Professor Oskar Kreisky, der nach kurzer Haftzeit in Amerika arbeitete, nach dem Krieg aber zurückgekehrt ist, nicht zuletzt deshalb, weil er hier viele Freunde aus seiner schlagenden liberalen, deutsch-freiheitlichen Studentenverbindung hatte. Es war die ‚Budovisia', und dies deshalb, weil beide Onkel in Budweis in der Mittelschule waren. Ich möchte noch hinzufügen, die Verbindung war nicht jüdisch-deutschnational orientiert, viele von denen, die dem Corps angehörten, waren Katholiken und Protestanten. Ich selbst habe - wie Sie richtig annehmen - keiner Studentenverbindung angehört. Ich war schon sehr früh Sozialdemokrat.
Beeindruckt hat mich jedoch die verläßliche Freundschaft, die die Angehörigen dieses Corps verbunden und sich auch in schwerer Zeit bewahrt hat. Wahrscheinlich war das auch mit ein Grund für die Rückkehr meines Onkels aus Amerika. Ich freue mich, Ihnen die Auskunft geben zu können. Ihr Bruno Kreisky."