Von Alexander Graf — In der Dissertation des Autors („Los von Rom” und „heim ins Reich" — Das deutschnationale Akademikermilieu an den cisleithanischen Hochschulen der Habsburgermonarchie 1859-1914, Univ. Graz 2014; Berlin 2015) werden auch die hier ausgeklammerten Gesichtspunkte (z.B. Waidhofener Prinzip, Rolle der Burschenschaften und „wehrhaften" Korporationen, parteipolitische Hintergründe / v. Schönerer) behandelt.
Einst und Jetzt, 2015, Jahrbuch Nr. 60
Der Aufstieg der Burschenschaften zur prägenden Organisationsform des „deutschnationalen" Lagers an österreichischen Hochschulen war seit den 1880er Jahren verbunden mit einem Bedeutungsverlust der „international" orientierten akademischen Corps. Im Deutschen Reich hingegen verkörperten die Corps die verbindungsstudentische Herrlichkeit des wilhelminischen Zeitalters. Daraus speiste sich eine staatsloyale, jedoch diskrepante Meinungen und Religionen tolerierende, für alle Nationalitäten offene „unpolitische" Haltung. So kritisierte ein Angehöriger des wehrhaften Vereins Cheruscia Wien, dass die reichsdeutschen Corps ihre Mitglieder von der Politik fernhielten, sich stattdessen auf Formalismus, Ehrenkodex und Exklusivität konzentrierten mit Anleihen an das „preußische Feudaljunkertum". Andererseits erkannte man durch die Brille eines Burschenschafters: „Während die Korps in Deutschland ganz gewiß national genannt werden konnten, waren die österreichischen Korps durch ihren Internationalismus eine große Gefahr für das deutsche [bzw. deutschnationale] Studententum."
Von 1861 bis 1866 waren 15 Corps in Cisleithanien entstanden, das älteste Rhätia Innsbruck, 1859 gestiftet, am 2. Februar 1862 zum Corps erklärt. Saxonia Wien war älter, 1862 jedoch noch kein Corps. Von den frühen Corps sollten nur Franconia Prag, Joannea Graz, Rhätia und Athesia Innsbruck nach 1866 fortbestehen. Die Corps erlebten in den frühen 1860er-Jahren eine äußere Blütezeit, während ihre Aufnahme in den KSCV, den Dachverband der Corps an deutschen Universitäten, zunächst scheiterte. In Prag gab es um 1876/77 durch die Wandlung von Moldavia, Albia und Constantia zu Corps nochmals einen Aufschwung. Nach 1871 näherten sich die akademischen Corps in Österreich stärker den Traditionen ihrer reichsdeutschen Vorbilder. Dazu gehörten religiöse Toleranz, politische Neutralität und Loyalität zum Staat. Das Prager Corps Austria forderte, man solle sich erst nach dem Studium mit Politik befassen; damit ging die Pflege eines vaterländischen Konservatismus im Sinne der k. u. k. Monarchie einher. Vor diesem Hintergrund können Attacken gegen die „deutschnationalen" Burschenschaften nicht verwundern. Demgegenüber propagierte man von Corps-Seite, durch Erziehung und Charakterbildung „nach Innen" zu wirken und sich der Pflege des Studentenlebens zu widmen. Der Gegensatz zwischen Corps und Burschenschaften speiste sich jedoch in erster Linie aus der unterschiedlichen Einstellung zu dem, was man „vaterländische" oder „nationale" Haltung nennen kann. Dabei vertraten die „ostmärkischen" Burschenschafter eine Idee, welche letztlich das Ende der k. u. k. Monarchie bedeuten musste. Die Corps hingegen waren loyal gegenüber dem Hause Habsburg. Zur Hochphase in den 1870ern gab es zeitweise 26 Corps in Cisleithanien. Der Versuch, einen gemeinsamen österreichischen Dachverband zu gründen, scheiterte. Das Innsbrucker Corps Gothia trat daraufhin 1898 dem Kösener SC-Verband bei, Athesia renoncierte 1901, Rhaetia kam 1913 hinzu. Woran es lag, dass die Innsbrucker Corps bevorzugt Eintritt in den KSCV erhielten, konnte der Autor nicht feststellen. Sie unterschieden sich kaum von den übrigen cisleithanischen Corps, waren dem Hause Habsburg treu, gaben Juden und Ausländern Satisfaktion. Ob die Innsbrucker ihre deutsche Identität stärker betonten, lässt sich nicht sagen. Nach 1870/71 blieben Landsmannschaften und Corps proösterreichisch, aber man vermied diesbezüglich Streitigkeiten mit den Burschenschaften.
Bei den Corps stellte die Mitgliedschaft von Tschechen oder Juden prinzipiell kein Problem dar. Im Zuge der Schillerfeiern 1859 entstanden in Prag gemischte Korporationen mit deutschen und tschechischen Mitgliedern. Letztere schieden z.T. mit Verschärfung des Nationalitätenkonfliktes aus. Zunächst verharrte die Mehrzahl der deutschsprachigen Hochschüler auf ihrer liberalen Haltung. Doch die „Schlacht von Kuchelbad" (28. Juni 1881) öffnete Zweiflern die Augen. Dabei handelte es sich um einen Angriff von tschechischen Studenten und Nichtakademikern auf eine Ausflugsgesellschaft des Corps Austria. Diese Ausschreitungen bildeten den Auftakt immer wiederkehrender Tätlichkeiten gegen die deutschen Studenten und die deutsche Bevölkerung in Prag und Böhmen. Im Gefolge setzte an den Hochschulen eine breitenwirksame Nationalisierung ein, die nun die Corps vor Probleme stellte. In Prag hatte sich deren Verhältnis zu den Burschenschaften seit 1878 verschlechtert. Hinzu kam, dass die „internationalen" Corps an Anziehungskraft verloren. Sie glaubten, dass die Festlegung auf den „nationalen Standpunkt" per se schon eine unerlaubte politische Betätigung sei. In der Folge wandten sich die Maturanten lieber den wehrhaften Vereinen und Burschenschaften zu, was bei den Prager Corps zu Nachwuchssorgen führte. Sie erklärten sich daher explizit als „deutsche Corps", was sie in Konflikt mit den übrigen Corps im Habsburgerreich brachte, ihren Niedergang jedoch nicht aufhalten konnte. 1884 stand Suevia als einziges Prager Corps sechs Burschenschaften gegenüber.
Im Zuge der Sprachenverordnungen des Ministerpräsidenten B a d e n i (Gleichstellung der tschechischen und deutschen Sprache in Böhmen und Mähren) sowie der Unruhen des Jahres 1897 rückten Corps und Landsmannschaften an die Seite der Burschenschaften. Kurz vor der Jahrhundertwende adaptierten sie sogar z.T. deren Antisemitismus. Auf einem Corps-Arbeitstreffen Anfang November 1908 in Salzburg legte Joannea Graz ein Programm vor, das u.a. die Forderung nach deutschvölkischer Erziehung enthielt. Die Mehrheit stimmte dafür. Federführend waren die steirischen Corps. Es lag auch an ihnen, dass ein neuer Einigungsversuch scheiterte. So riefen die explizit nationalen Corps 1908 den kurzlebigen Dürnsteiner SC-Verband ins Leben. Letztlich konnten die Differenzen erst nach dem Weltkrieg und Aufnahme in den KSCV überwunden werden.