Der Corpsstudent, der erklärte, was die Welt im Innersten zusammenhält
Dr. Menno Aden Franconiae Tübingen
CORPS - Das Magazin Ausgabe 3/2025
Robert Mayer (1814–1878) kennt kaum jemand.
* Aden, Menno: Kulturgeschichte der großen deutschen Erfindungen und Entdeckungen, Paderborn, 2019, S. 521 f
Namen wie Kopernikus, Keppler, Newton, Einstein, Heisenberg und so weiter sind dagegen fest im öffentlichen Bewusstsein. Robert Mayer gehört in diese Riege erlauchter Namen. Ihm gebührt darin ein vorderer, vielleicht sogar der erste Platz. Goldschmidt-Jenter sagt von seinem Landsmann: „Der schlichte Arzt aus Heilbronn wurde einer der größten Naturentdecker aller Zeiten mit der Erkenntnis: Energie geht nicht verloren, sie wird nicht vermehrt und nicht vermindert. Die Summe der Energien bleibt in der Welt von Anfang an bei allen Prozessen konstant.“
Mayers Leistung ist deswegen besonders bemerkenswert, weil es trotz gewisser Andeutungen keine wirklichen Vorarbeiten zu dem von ihm gefundenen Satz gab.
Mayers Vater war Apotheker in Heilbronn. Nach dem Abitur in Stuttgart studierte Robert Mayer in Tübingen Medizin. Er war maßgeblich beteiligt an der Gründung des bald darauf wieder aufgelösten Corps Guestphalia. Das war die Zeit der Karlsbader Beschlüsse, in der öffentliches Farbentragen und die Mensur strafrechtlich verfolgt wurden. Wir Tübinger Franken erinnern an diesen Teil unserer Corpsgeschichte mit dem Kneiplied Tübingen ist eine schöne Stadt auf Ehre..., wo es am Ende heißt : „Auf ihr Wächter des Studentenpaukgesetzes seid auf der Spur der Mensur...“
Mayer wurde von der Tübinger Universität verwiesen und machte 1838 in München Examen und wurde Doctor der Medizin. 1839 ging er offenbar aus Abenteuerlust nach Holland und fuhr als Schiffsarzt nach Batavia, Niederländisch-Indien, heute Djakarta. 1841 kehrte Mayer nach Heilbronn zurück und praktizierte als Arzt. Als zwei seiner Kinder starben, geriet er in tiefe Depressionen. 1852 und 1853 war er monatelang in Heilanstalten untergebracht. Er starb 1878 in Heilbronn an Tuberkulose.
Es gibt unterschiedliche Berichte darüber, wie Mayer die entscheidenden Anregungen zur Formulierung des Energieerhaltungssatzes erhielt. Eine soll die Bemerkung eines Seemanns gewesen sein, dass das Meerwasser sich bei Stürmen, also bei starker Bewegung erwärme. Die andere war, dass das Venenblut der von ihm untersuchten Seeleute in den warmen Tropen heller ist als im kälteren Europa. Nach seiner Rückkehr 1841 ging Mayer an die Ausarbeitung seiner Beobachtungen. Er konnte nachweisen, dass die „Wärme, die Bewegung (d. h. die sogenannte lebendige Kraft oder ‚Arbeit‘ der Mechaniker), sowie das Licht und die Elektricität, verschiedene Erscheinungsformen eines und desselben unzerstörlichen, meßbaren Objectes sind, so daß z. B. Bewegung in Wärme und diese wieder in jene sich verwandeln läßt, wobei in jedem Falle die ins Spiel gesetzte quantitas vis [= Menge der Kraft] constant bleibt.“ Wenn Bewegungsenergie sich in Wärmeenergie verwandelt, müsste Wasser durch Schütteln zu erwärmen sein. Diesen Nachweis zu führen, war nicht schwer. Mayer bestimmte aber auch den Faktor der Umwandlung, das mechanische Wärmeäquivalent. Das Ergebnis seiner Untersuchungen fasste Mayer in einem Aufsatz für Poggendorffs Annalen, die damals führende naturwissenschaftliche Zeitschrift, zusammen. Der Aufsatz soll Rechenfehler enthalten haben, jedenfalls wurde er nicht gedruckt.
Der überarbeitete Aufsatz erschien dann 1842 unter dem Titel „Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur“ in Liebigs Annalen. Darin sagt Mayer unter anderem: „Kräfte sind Ursachen, mithin findet auf dieselbe volle Anwendung der Grundsatz: causa aequat effectum. Hat die Ursache c die Wirkung e, so ist c = e; ist e wieder die Ursache einer andern Wirkung f, so ist e = f, u.s.f. c = e = f ... = c. In einer Kette von Ursachen und Wirkungen kann, wie aus der Natur einer Gleichung erhellt, nie ein Glied oder ein Theil eines Gliedes zu Null werden. Diese erste Eigenschaft aller Ursachen nennen wir ihre Unzerstörlichkeit. […] Ursachen sind (quantitativ) unzerstörliche und (qualitativ) wandelbare Objecte.“
* Annalen der Chemie und Pharmacie von Wöhler und Liebig. 1842. Bd. XLII. Maiheft, p. 233 ff.
In seinem Buch Die organische Bewegung im Zusammenhang mit dem Stoffwechsel (1845) konnte Mayer den Zahlenwert des Wärmeäquivalents präzisieren und kam fast an den heute anerkannten Wert. Er ließ dieses Buch auf eigene Kosten drucken. Es fand jedoch nur geringe Verbreitung. Darin dehnte Mayer das Konzept von der Erhaltung der Energie aus. So wandte er sich gegen die von den Vitalisten postulierte Lebenskraft, denn es sei die von den Pflanzen in chemische Energie umgewandelte Sonnenstrahlung, die über die Nahrungsaufnahme den Organismus bewege und die Körperwärme aufrechterhalte. Und nicht eine mystische Größe wie Lebenskraft. Mayer folgerte aus der Energieerhaltung auch, dass die Rotationsgeschwindigkeit der Erde wegen der Gezeitenreibung abnehmen müsse. Mayer versuchte den Effekt quantitativ abzuschätzen.
Der Brite James P. Joule (1818–1898), dem später die Entdeckung dieses Satzes zugeschrieben wurde, muss Mayers Thesen gekannt haben. Unter Joules Aufzeichnungen befand sich jedenfalls eine Übersetzung der ersten Publikation Mayers.
* Wolff, Stefan L., „Mayer, Julius Robert von“ in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 546–548
In der Antike galt das Feuer als eine der vier Grundsubstanzen.
* Diogenes Laertius: Seine (= des Empedokles) Lehre war folgende: „Der Elemente sind vier: Feuer, Wasser, Erde, Luft Freundschaft ist die Macht, die sie zusammenführt, Zwietracht die, die sie trennt.“ – Derselbe berichtet auch den Ausspruch eines Diogenes von Apollonia (um 440 v. Chr.): „Nichts wird aus dem Nichtseienden und nichts löst sich in das Nichtseiende auf.“ Das könnte als Urform des Energieerhaltungssatzes gelesen werden. Aber mehr als dieser Satz ist nicht überliefert.
Damit schien die Frage nach der Natur der Wärme, die aber als solche nicht gestellt worden zu sein scheint, beantwortet. Leibniz hatte zwar einmal von einer conservatio virium – Erhaltung der Kräfte gesprochen und war damit Mayers Arbeiten nahegekommen. Leibniz hatte diesen Gedanken aber im Bereich der philosophischen Spekulation belassen. Der Brite Robert Boyle (1626–1692) entdeckte bei Versuchen mit Otto Guerickes Vakuumpumpe eine Beziehung zwischen Druck, Volumen und Temperatur eines Gases (Gesetz von Boyle und Mariotte). Lavoisier vertrat 1783 daraufhin die Stofftheorie, wonach Wärme eine unsichtbare und gewichtslose Substanz sei, so fein, dass sie auch feste Körper durchdringe.
Benjamin Thompson, Graf Rumford (1753–1814), beobachtete 1798, dass beim Bohren von Metall in Metall Wärme entsteht, und zwar je länger man bohrt, desto mehr. Wärme war also kein Stoff, sondern eine Form der bei der Reibung erbrachten Arbeit. Damit scheint die Arbeit des Bohrens erzeugt nicht nur Wärme, sondern auch Licht, indem das heiße Eisen glüht. Licht ist also eine andere Form der Energie. Damit ist aber nicht erklärt, was Energie eigentlich ist. Das weiß man auch heute nicht wirklich. Jedenfalls kommt Energie in vielen Formen vor. Sie erscheint als kinetische, also in einer Bewegung enthaltene Energie, als Gravitationsenergie, wenn ein Fels zu Tale rollt oder ein Planet in seiner Bahn gehalten wird, als elektrischer Strom, als Kernenergie und so weiter. In allen Erscheinungsformen ist sie offenbar Ausprägung desselben Urphänomens und kann nach bestimmten Gesetzen von jeder Form in jede andere umgewandelt werden, ohne dass etwas verloren geht.
Es gab etwas später, aber praktisch zeitgleich mehrere Wissenschaftler, die etwa denselben Gedanken äußerten.
Ludwig August Colding (1815–1888) aus Dänemark postulierte unabhängig von Mayer 1852 einen Wert des mechanischen Wärmeäquivalents, der dem heutigen sehr nahekam. Colding scheint auf einem theologischen Wege zu seiner Theorie gekommen zu sein. Er schreibt: „Wie die menschliche Seele unsterblich sei, müsse es auch ein allgemeines Naturgesetz sein, dass die Kräfte der Natur unvergänglich sind.“ Heute ist der gläubige Mensch eher versucht, dieses Argument umzukehren: Wenn der Energieerhaltungssatz als universales Gesetz gilt, dann müssen doch wohl Leib, Geist und Seele unvergänglich sein.
Die heute nach Joule benannte Maßeinheit müsste eigentlich Mayer heißen.
Carl Wilhelm Siemens (1823–1883), Bruder von Werner von Siemens, hatte die englische Niederlassung von Siemens aufgebaut und 1859 die britische Staatsbürgerschaft angenommen. Als Präsident der British Association for the Advancement of Science schlug Carl Wilhelm Siemens 1882 als Einheit für die Wärmemessung das Joule vor „..., after the man who has done so much to develop the dynamical Theory of heat.“ Das wurde 1889 beschlossen. Wahrscheinlich hat Wilhelm Siemens seinen deutschen Landsmann nicht gekannt.
Engl. Wikipedia schreibt zu Mayer: Da er damals nicht ernst genommen wurde, wurden seine Leistungen übersehen und James Joule wurde die Ehre zuteil. Seine übersehene Arbeit wurde 1862 von seinem Physikerkollegen John Tyndall (1820–1893) in einer Vorlesung in London wiederbelebt. Die Geschichte der Wiederentdeckung oder Ehrenrettung Mayers durch den Briten John Tyndall, der in Marburg studiert hatte, erinnert an die Wiederentdeckung der epochalen Entdeckungen von Gossen (Grenznutzentheorie) und von Mendel (Vererbungsgesetze) ebenfalls jeweils durch einen Engländer. Carl E. Moore et al.:
* 122 ff. Bull. Hist. Chem., Vol. 39, Number 2 (2014) On The First Law Of Thermodynamics And The Contribution Of Julius Robert Mayer: New Translation And Consideration Of A Rejected Manuscript
„Kein größeres Genie als Robert Mayer ist in unserem Jahrhundert erschienen. Einige Männer, die ihn jetzt überschatten, werden zweifellos in der zukünftigen Wissenschaftsgeschichte unter ihn gestellt werden.“
Der Energieerhaltungssatz besagt, dass Energie nicht an eine bestimmte Erscheinungsform gebunden ist. Weitergedacht kommt man in die Nähe der berühmten Formel von Albert Einstein, wonach Energie gegen Masse und beide gegen Geschwindigkeit austauschbar sind. In der Physik wird eine Hierarchie der Naturgesetze gesehen. Den höchsten Rang nehmen die sogenannten Erhaltungssätze ein. Die gemeinsame Wurzel dieser Sätze ist: Es geht nichts verloren, und es entsteht nichts aus dem Nichts. Denkt man diesen Gedanken philosophisch oder theologisch weiter, dann wird man bei einer Art Reinkarnationslehre ankommen. Leben und Welt wandeln sich in ihren Erscheinungsformen stetig, aber sie bleiben doch im Wesen erhalten. Das wird in Goethes Gedicht wie folgt ausgedrückt: Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!
Das Ew’ge regt sich fort in allen.