Zusammengestellt von AH Milz, zur Verfügung gestellt von CB Geyr
Am Anfang war der Sinn, so lautet eine Kernaussage Viktor Frankel's und er ergänzte sie noch, indem er meinte: am Anfang war der Sinn und siehe, der Sinn war die Tat. Nicht das Wort also, sondern das Tun, das verantwortende Tun, ist sinnvoll.
Und so hat es zu allen Zeiten und in allen Ländern immer wieder außergewöhnliche Menschen gegeben, Menschen mit Pioniergeist, die durch ihr Tun Veränderungen bewirkt und somit Geschichte geschrieben haben.
Theodor Christomannos war einer von ihnen.
Der Anlaß, sehr verehrte Corpsschwestern, liebe Corpsbrüder, Freunde und Gäste, der uns bewegt hat, unser Stiftungsfest in diesem Jahr in Südtirol inmitten dieser herrlichen Dolomitenwelt zu feiern, ist ein Jubiläum. Das Jubiläum einhundert Jahre Gothia im Kösener.
Christomannos war der Wegbereiter dazu.
Notwendig geworden war dies, da den österreichischen Corps, in ihrer damaligen Sturm- und Drangzeit, durch Zwistigkeiten, Auffassungsunterschiede und politische Wirren geschwächt, durch die Auflösung des Melker Kongresses ohne Dachverband dastehend, das Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit drohte.
Es war das Verdienst von Christomannos, vorausschauend diese Gefahr erkannt und die Aufnahme seines Corps in den Kösener fortan angestrebt zu haben. Die Erfahrungen, die er durch sein zweites Band bei Lusatia Leibzig als Kösener Corpsstudent nach Innsbruck mitbrachte, waren dabei von unschätzbarem Wert.
Was Cristomannos einmal begonnen hatte, tat er kompromißlos ganz. Seine glänzende Rednergabe, sein ihm eigener Charme und sein hoher Bekanntheitsgrad mögen wesentlich dazu beigetragen haben, daß Gothia 1898 als erstes österreichische Corps in den Kösener aufgenommen wurde. Ein Jahr später folgte Athesia und in den darauffolgenden Jahren nach und nach schließlich alle österreichischen Corps.
Zahlreich vertreten, konnte Gothia beim heurigen Kösener am schwarzen Abend diese Tatsache in geeigneter Form durch unseren AH-Obmann in Erinnerung rufen.
Wir haben uns am Karersee versammelt, weil von allen Gebieten Südtirols, die Christomannos durchwandert, erforscht und erschlossen hat, seine ganz besondere Liebe dem Rosengartengebiet gegolten hat. Hier auf der Welchenofneralm hat er einen modernen Kurort geschaffen, der heute Ziel von Wanderern aus aller Welt ist. Seine Lieblingsschöpfung war und blieb das Karerseehotel. Hier verbrachte er in den ersten Betriebsjahren regelmäßig seine Ferien und war während seines Aufenthaltes umschwärmter Liebling der Damen. Selbst Sissy, Kaiserin von Österreich, die hier einmal Urlaub nahm, ließ sich von seinem beredtem Charme gefangen nehmen. Kenner der Szene sprachen dann von Christomanie.
Und hier heroben, unter den Felsen des Rosengartens, haben Corpsbrüder, Freunde und Persönlichkeiten aus Nord - und Südtirol über Anregung des Leibziger Verlegers Hirzel, ein Jahr nach seinem Tod, am 22.09.1912 den Christomannos-Adler errichtet, geschändet während des ersten Weltkrieges, 1959 unter Beteiligung von viel Prominenz wieder aufgestellt, mit einer Höhe von 2.70 Meter eines der imposantesten Denkmäler der Dolomiten. Als Sinnbild für Kraft und Kühnheit, steht der Adler hier für eine Vision die Wirklichkeit geworden ist.
Christomannos hat nämlich, indem er ein Straßennetz über die Dolomiten legte, von Bozen über den Karerseepaß nach Cortina, dort Hotels mit für damalige Verhältnisse außergewöhnlichem Luxus errichtete, deren Ausstattung die aller Hotels der Alpen, einschließlich der Schweiz, übertraf, aber auch Alpenvereinshäuser, Schutzhütten und Höhenwege anlegen ließ, die Entwicklung des Alpentourismus um Jahrzehnte vorweggenommen. Denn das alles geschah vor hundert Jahren und mehr, als nur schmale Schotterstraßen zu den einzelnen Ortschaften führten und das Fortbewegungsmittel Roß und Wagen war.
Sein Hauptinteresse galt der Ortlergruppe und den Dolomiten. Er begann mit dem Bau der Suldnerstraße und errichtete als erstes das komfortable Suldenhotel, mit welchem er den Typus des neuen, vornehmen und behaglichen Berghotels eigener Prägung in Tirol geschaffen hat. Der riesige Beherbergungsbetrieb stellte mit seinen Einrichtungen wie elektrisches Licht, Dampfheizung, Bäder, Lesesaal, eigene Bäckerei und Tennisplätze für die damalige Zeit im Vintschgau ein Wunder dar. Dieser Erfolg, der sich durch einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung für die Bewohner der Talschaft auswirkte, denn plötzlich bevölkerten noble Herrschaften das Hochtal, Bergsteigen war in Mode gekommen aber nur Begüterte konnten es sich leisten, dieser Erfolg spornte ihn an und er gründete den Verein für Alpenhotels in Tirol, mit dessen Hilfe dann die weiteren großen Häuser in Trafoi, am Karersee und die Dolomitenhotels in Cortina und Canazei, um nur die wichtigsten zu nennen, entstanden sind. Seine unermüdliche Tätigkeit entfaltete er auch für die Entwicklung des Verkehrswesens in Tirol, insbesondere für den Ausbau der Vintschgaubahn und in den folgenden zwanzig Jahren gab es wohl überhaupt keine verkehrspolitische Aktion in Südtirol, bei der nicht der Name Christomannos in erster Linie zu nennen war.
Wer war nun jener Mann, den Tirol mit offenen Armen aufgenommen und der diesem Land, aufopfernd dienend, so viel zurückgegeben hat?
Christomannos wurde am 31.Juli 1854 in Wien, Schönlaterngasse, geboren, wo das großbürgerliche Elternhaus, aus mazedonisch-griechischem Raum stammend, schon seit Generationen ansässig war. Durch seine Mutter war er mit der Familie des Kunstmäzens und Parlamentariers Dumba verwandt, in dessen Palais der junge Theodor schon frühzeitig mit hervorragenden Künstlern und Wissenschaftlern zusammen traf , was seiner musischen Veranlagung entgegen kam.
Nach Tirol kam Christomannos das erstemal, als er seine Mutter 1870/71 zu einem Kuraufenthalt nach Gries bei Bozen begleitete. Als Privatist besuchte er das Gymnasium bei den Franziskanern in Bozen, dort sprang er in das pennale Corps Amiciciae ein und erlangte bald, dank seiner auffallend interessanten Erscheinung und seines zielstrebigen Wesens große Beachtung.
Im Winter 1873 inskribierte er an der Alma Mater in Innsbruck Medizin und wurde am 10. Oktober 1873 in das Corps Gothia aufgenommen. Nach mehreren Semestern ging Christomannos nach Leipzig um sich dort Lusatiae anzuschließen. Nach drei Aktivensemestern - mit Unterbrechung - kehrte er wieder zu seinem Muttercorps zurück, dem er bis ans Lebensende aufs Engste verbunden blieb.
Er war das Idealbild eines tatenfrohen Corpsstudenten seiner Zeit schlechthin, glühende Begeisterung für das Corpsprinzip war der Grundzug seines Charakters. Seine geklammerten Chargen, zehn an der Zahl und vierunddreißig Mensuren geben davon ein beredtes Zeugnis. Er führte Gothia zu hoher Blüte und man sprach zurecht von der Aera Christomannos.
Es war daher nicht verwunderlich, daß alsbald, wie Zeitgenossen zu berichten wußten, ein draufgängerischer junger Gothe mit ungewöhnlich schönen, schmissdurchfurchten, dunklen Kopf auffiel und eine Menge Geschichten um seine Person entstanden.
Christomannos konnte es sich leisten mit einem lebendigen Fuchs im Arm über den Bummel auf der Theresienstraße zu gehen, die übliche Studentenmütze mit einem pelzverprämten weißen Cerevis zu vertauschen und manch Mädchenherz schlug höher, wenn er auf seiner arabischen Stute Aga ritt. Dieses Pferd kam in seinen Besitz, weil er mit einem Fiaker, der dieses Vollblut erst kürzlich aus der Exekutionsmasse eines Zirkusses erstanden hat, eine Wette abschloß, daß diese Stute sein Eigentum sein soll, wenn er jetzt im Winter den Inn überquere, ohne daß Roß und Reiter Schaden nähmen. Er gewann die Wette und jahrelang blieb Aga sein treuer Begleiter bei seinen ausgedehnten Ritten durch Nord- und Südtirol. Er war ein glänzender Reiter und wurde mit seinem weißen Pferd, wo immer er auftauchte, beinahe zu einer mythischen Figur. Ich erwähne diese Geschichte deshalb, weil Verwegenheit und Draufgängertum ein wesentlicher Charakterzug seiner Persönlichkeit waren. So kam es später in Meran, wo er schon als Richter einen hervorragenden Ruf genoß, zu einer ähnlichen tollkühnen Wette. Er würde zu Silvester im Frack und Zylinder den Ortler besteigen und oben auf dem Gipfel eine Flasche Champagner leeren. Auch diese Wette hat er gewonnen.
Bei einer seiner letzten Partien, es war zu Straßburg, wurde ihm, durch einen schadhaften Kettenhandschuh bedingt, das rechte Handgelenk durchtrennt. Aber selbst dieser Unfall konnte seine Tatkraft nicht beeinträchtigen. Da nun seine rechte Hand infolge unzureichender medizinischen Versorgung auf dem Paukboden steif und gekrümmt war, mußte er sein Medizinstudium aufgeben und auf Jus umsatteln. Seine letzten Partien focht er nun als Linkser, wie er auch in unglaublich kurzer Zeit das Schreiben mit der linken Hand erlernte.
Im Jahre 1884 wurde er zum Doktor der Rechte promoviert und übersiedelte, nach Ablegung der Gerichtspraxis, nach Meran. Auch dort wieder, von zu Hause mit reichlich finanziellen Mitteln ausgestattet, stand Christomannos alsbald im Mittelpunkt der Meraner Gesellschaft, in der er nicht nur wegen seines Auftretens, seiner gesellschaftlichen Talente und seiner unbeschwerten, an die Studentenzeit anklingende Wesensart - gemeint sind damit wohl seine abenteuerlichen Kapriolen - beachtet, sondern auch als redegewandter Richter geschätzt wurde. Er zeichnete sich durch ein ganz besonderes Rechtsgefühl aus, besonders wenn es sich um die Anliegen der kleinen Leute - seine Sorgenkinder - ging.
Sein Beruf allein genügte ihm aber nicht, er wollte mehr, er wollte seiner Tiroler Wahlheimat in vielerlei Hinsicht nützen. Dank seiner großen rhetorischen Fähigkeiten und seiner überschäumenden Begeisterung wurde er ein einflußreicher und mitreißender Politiker und als solcher in den Tiroler Landtag gewählt. Eine spätere Berufung nach Wien lehnte er ab, er wollte und konnte sich von seinem geliebten Tirol einfach nicht trennen.
Als begeisterter Alpinist wurde er 1890 Mitglied des deutsch - österreichischen Alpenvereins in Meran und bald darauf dessen Vorsitzender. Mit diesem Zeitpunkt begann für den weltläufigen Christomannos zwar der arbeitsreichste aber auch der beglückenste Abschnitt seines Lebens. All seine Gedanken und Werke hat er bis zu seinem Lebensende dem Vorhaben gewidmet, Südtirol mit seiner herrlichen Landschaft der Welt zu erschließen und wirtschaftlichen Wohlstand und Fortschritt vor allem in die krisengeschüttelten Gebirgstäler zu bringen.
Mit zahlreichen Publikationen und Vorträgen, immer rastlos unterwegs, warb er für seine Pläne. In diese Zeit fallen die großen Vorhaben der Verkehrserschließung der Ortlergruppe und der Dolomiten.
Der Alpenverein wurde auch zum Sprungbrett für seine bergsteigerische Laufbahn. Kraftstrotzend und lebenslustig galt er als ein alpines Universalgenie, zahlreiche Begehungen im schwierigsten Fels und aufsehenerregende Gewalttouren im Ortlergebiet machten ihn zu einem der bekanntesten Bergsteigern seiner Zeit in Südtirol. Mit einer Erstbesteigung in der Latemargruppe, Christomannosturm nach ihm benannt, wurde sein Name auf ewig in den Fels geschrieben. Er grüßt herunter, wenn wir vor dieses Haus treten.
Ausgestattet mit einer Fülle von Talenten und Begabungen, entfaltet sich so vor unseren Augen das Bild eines faszinierenden Mannes mit einer Paarung der widerstrebendsten Eigenschaften. Ein Realist und Praktiker, ein Träumer, ein flotter, draufgängerischer Student, ein zielstrebiger Mann, eine ausdrucksvolle Erscheinung, ein Genießer, ein Asket, sorglos und freigiebig bis zum Leichtsinn aber auch wohl um den Wert des Geldes bewußt, bestechend in seinen Umgangsformen, ein einfacher, einsamer Wanderer durch seine Tiroler Berge, selbstlos eintretend für andere und für sich nichts begehrend, ein Schwarm der Damenwelt, letztendlich treusorgender Familienvater. Jurist, aber auch Alpinist, Botaniker, Mineraloge, Schriftsteller, Schöngeist, Wirtschaftspolitiker, Abgeordneter, Staatseisenbahnrat, Hotelpräsident, Organisator und Förderer des Fremdenverkehrs - Beweger und Gestalter allerorts - eine Ausnahmeerscheinung seiner Zeit.
So lebte er ein großes Leben.
Er starb allzu früh, im siebenundfünfzigsten Lebensjahr, an einer Lungenentzündung. Sein Tod löste bei der Bevölkerung Betroffenheit aus. Vom Rathaus und vom Kurhaus in Meran wehten Trauerfahnen. Man hat ihn glänzend zu Grabe getragen: 120 Bergführer schritten hinter seinem Sarg, alles was Rang und Namen hatte und hunderte Bürger begleiteten ihn auf seinem letzten Weg. Die Stadt Meran dankte ihm mit einem Ehrengrab und den Worten: dem Manne der alles für andere und nichts für sich wollte. Sein kühner Geist aber, sein Wille zur Tat und die Wucht seiner Persönlichkeit haben überall Spuren hinterlassen. Spuren in der Landschaft und Spuren bei den Menschen in deren Erinnerung er weiter lebt, gleich einem Stern, der sein Licht schickt, obwohl er schon längst gestorben ist.
Es ist das Licht eines großen Sohnes des Landes Tirol und es ist das Licht eines Corpsstudenten, der einen würdigen Platz in der Reihe großer deutscher Corpsstudenten einnimmt.