Dr. Sebastian Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam
CORPS - Das Magazin Ausgabe 1/2021
Jüdische Korporierte und die jüdischen Korporationen waren der Forschungsgegenstand auf der 80. deutschen Studentenhistorikertagung. Den Höhepunkt bildete eine religiöse Zeremonie zu Ehren der unter dem Nationalsozialismus verfolgten jüdischen Korporierten auf dem Heidelberger Schwabenhaus. Der Heidelberger Hochschulrabbiner Shaul Friberg sang für sie ein Totengebet - das El male rachamim.
Die 80. Tagung des Arbeitskreises der Studentenhistoriker war international besetzt. Per Zoom-Konferenz gaben sich neun der profiliertesten Fachleute auf dem Gebiet des jüdischen Korporationswesens ein Stelldichein - diese Form der Tagung war der aktuellen Lage geschuldet. Gesendet wurde aus dem Haus des Corps Thuringia Heidelberg, denn dessen heutiges Haus gehörte bis 1934 der jüdischen Verbindung Bavaria Heidelberg. Deutlich über hundert Teilnehmer verfolgten die Tagung, die meisten davon online, einige wenige auch - strikt Corona-konform - vor Ort. Nach Begrüßung und Totengedenken stellte zunächst Martin Laubmann, Corpshistoriker der Thuringia, die Geschichte des Anwesens in der Heidelberger Hauptstraße 244, des heutigen Thüringerhauses, vor.
Professor Matthias Stickler, Würzburg, entwickelte die Grundlinien der Geschichte der jüdischen Korporationen. Professor Raimund Lang, Salzburg, stellte Fritz Löhner-Beda vor, aus dessen Feder neben anderen vielen weltbekannten Werken nicht nur das Libretto für die Operette "Die lustige Witwe" stammt. Noch im Jahre 1934 schrieb Löhner-Beda den Schlagertext "Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren", acht Jahre danach wurde er im KZ Auschwitz ermordet. Zwei Heidelberger Studenten kamen zu Ehren: Der Politiker Ludwig Marum, aktiv bei der jüdischen Verbindung Badenia, aus der später Bavaria wurde, am 29. März 1934 im badischen KZ Kislau. Ludwig Mond, der bedeutende britische Chemiker und Unternehmer war Heidelberger Rhenane, sein Sohn sollte als einer der bedeutenden Zionisten von London aus maßgeblich am Aufbau des Staates Israel mitwirken. Diese und die übrigen Themen sind auf der Website www.studentenhistoriker.eu nachzuverfolgen.
Das Heidelberger Schwabenhaus zwischen 1946 und 1955, damals "Synagogue Center".
"Es wird Zeit, das die Korporierten der heutigen Tage nach Jerusalem reisen und einen Kranz mit den Farben der Kadimah Wien am Grab Theodor Herzls niederlegen."
GEBET FÜR DIE JÜDISCHEN KORPORIERTEN
Am Sonntag fand eine bemerkenswerte Zeremonie auf dem Haus des Corps Suevia Heidelberg statt. Der orthodoxe Rabiner Shaul Friberg sang in der Großen Kneipe ein jüdisches Totengebet für alle unter dem Nationalsozialismus verfolgten jüdischen Korporierten - eine vorher kaum jemals so zelebrierte, sehr ernste und doch in die Zukunft weisende Feier des studentischen und akademischen Erinnerns an die Shoa. An Korporierte, von denen auch viele in deutschen Konzentrationslagern starben, weil sie jüdischen Glaubens waren. Tief beeindruckt war das gesungene Gebet El male rachamim ("Gott voller Erbarmen"), des Rabbiner Friberg, der als Hochschulrabbiner der HfJS fungiert, zelebrierte. Friberg nannte auch den Namen von Fritz Löhner-Breda und schloss alle jüdischen Korporierten "von Basel bis Czernowitz" in sein Gebet ein.
In seiner Gedenkrede führte Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam aus, dass einerseits der Antisemitismus ab dem 19.Jahrhundert keine studentische Erfindung war und dass andererseits auch die jüdischen Studenten an einem sozialen Aufstieg interessiert waren. Dies aber, so Sigler, war wohl nicht letztlich entscheidende Grund für das Entstehen jüdische Korporationen. Vielmehr war es so, dass das studentische Brauchtum alle Studenten faszinierte und dass das Interesse an einer Verbindungsmitgliedschaft quer durch alle sozialen und religiösen Herkunftsschichten enorm war. Und dass sich ganz selbstverständlich auch jüdische Studenten dieses begehrte studentische Brauchtum aneigneten. Die Gründung jüdischer Verbindungen geschah damit aus mehreren Motiven haraus, zuerst aber aufgrund der Faszination des Korporationswesens an sich.
Einzigartig ist jedoch, was die so gegründeten Verbindungen dann bewirkten. Der wohl wichtigste von ihnen ausgehende Anstoß war der des Zionismus, der durch das Zusammentreffen Theodor Herzls mit der J.A.V. Kadimah Wien im Frühjahr 1896 geschah. Ohne diesen Anstoß gäbe es heute aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Staat Israel, jedenfalls nicht in dieser Form, so Sigler. Die Angehörigen der jüdischen Verbindungen hingegen dabei - unbeschadet ihrer Erfolge als Zionisten - an ihren Bundesbrüdern, an ihrem Couleur und an ihren Bräuchen ganz selbstverständlich und genauso stark wie jeder andere Korporierte. Das belegen eindrücklich die Briefe, die anschließend verlesen wurden: Heidelberger und Wiener Korporierte hatten sie aus dem Exil geschrieben.
Der Ort für die Gedenkzeremonie der Studentenhistoriker war mit Bedacht gewählt worden: Die Große Kneipe des Schwabenhauses war von 1945 bis 1955 die erste Synagoge nach der Reichspogromnacht in Heidelberg. Sie wurde von der US-Army für die US-Soldaten jüdischen Glaubens, für die Überlebenden der Heidelberger Jüdischen Gemeinde und für viele damals in Heidelberg aufgenommene Displaced Persons eingerichtet. Der Altherrenvorsitzende der Suevia, Haag I, erinerte in seinen Worten, mit denen er den Rabbiner und die übrigen Teilnehmer herzlich begrüßte, auch an den 75. Jahrestag der Einweihung eines zur Synagoge gehörigen Gemeindezentrums der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg und des National Jewish Welfare Board der American Army. Dieses Gemeindezentrum war 1946 in den Hof des Schwabenhaus hineingebaut worden.
Die schlichte, aber bewegende Zeremonie in der Großen Kneipe des Schwabenhauses konnte nur einem sehr ausgewählten Personenkreis zugänglich gemacht werden. Sie wird demnächst als Dokumentation zu sehen sein; ein Kamerateam der Firma Save Pictures aus Saarbrücken konnte für einen ehrenamtlichen Einsatz gewonnen werden. Alle Anwesenden spürten deutlich: Diese religiöse Gedenkveranstaltung entwickelte eine Dynamik, die neue Perspektiven eröffnet, weckte große gegenseitige Sympathien und ließ Ideen für zukünftige Veranstaltungen wachsen. Damit war diese religiöse Feier einer besseren Zukunft mindestens ebenso sehr gewidmet wie der unseligen Vergangenheit. In seinem Schlusswort sagte Sigler: "Es wird Zeit, dass die Korporierten der heutigen Tage nach Jerusalem reisen und einen Kranz mit den Farben der Kadimah Wien am Grab Theodor Herzls auf dem Herzlberg niederlegen."