Zu den Duellhandbüchern von Franz von Bolgár und Felix Busson
Dr. jur. Peter Hauser
Rechtsanwalt, Winterthur/Schweiz,
Alter Herr der Corps Cisaria München (WSC) und Tigurinia Zürich (KSCV)
Einst und Jetzt, 2009, Jahrbuch Nr. 54
Die meisten deutschsprachigen Duellhandbücher sind in Österreich erschienen. [1] In den dortigen waffenstudentischen Kreisen waren bzw. sind noch immer die „Regeln des Duells" von Franz von Bolgár und der „Ritterliche Ehrenschutz" von Felix Busson im Gebrauch. [2]
[1] Siehe die Zusammenstellung in: Hauser, Peter (Hg.): Säbel, Degen und Pistole, Zweikampfregeln für den k.u.k. Offizier.
Hilden 2006. Geleitwort.
[2] Bolgár, Franz. v.: Die Regeln des Duells, 2. Auflage des Neudrucks der 8. Auflage von 1908, Hilden 2008; und Busson, Felix,
Ritterlicher Ehrenschutz, Neudruck der 1. Auflage von 1907, Hilden 2007.
Der am 3. Januar 1851 [3] in Sziger Marmaros an der Theiss (heute Rumänien) geborene und im Mai 1923 [4] verstorbene Franz von Bolgár war ungarischer Abstammung und römisch-katholischen Glaubens. Im Alter von zwölf Jahren trat er in das Militärinstitut von Kassa (das heutige Košice in der Ostslowakei) ein. Nach Absolvierung der technischen Militärakademie wurde er mit dem 1. September 1873 zum Leutnant im Genieregiment Nr. 2 (Pioniertruppe) ernannt, am 1. Mai 1877 zum Oberleutnant befördert und der Geniedirektion in Petrovaradin zugeteilt. Per 1. Dezember 1877 zur Militärbaudirektion in Budapest transferiert, erfolgte am 11. November 1880 seine Einrückung zum Stammregiment. Wegen „hochgradiger Kurzsichtigkeit" bei der Superarbitrierung am 24. Januar 1881 klassifizierte man Bolgár als „invalid" und versetzte ihn am 1. März 1881 nach einer Dienstzeit von nur sieben Jahren und sechs Monaten in den Ruhestand. Nach Ablauf der zeitlichen Pension trat er am 1. März 1885 in das Verhältnis „außer Dienst". Am 3. Juni 1901 bekam er den „Hauptmannscharakter ad honores", am 24. August 1914 wurde ihm vom Kaiser Titel und Charakter eines Majors und am 1. März 1917 derjenige eines Oberstleutnants verliehen, und das alles stets „mit Nachsicht der Taxe", mithin gratis. In der mir vom Wiener Kriegsarchiv als Fotokopie überlassenen Beförderungsurkunde von 1914 wird lobend erwähnt, Bolgár habe sich „während der Krise im Jahre 1909 als Staatssekretär im königlich ungarischen Landesverteidigungsministerium große organisatorische Verdienste beim Ausbau der Wehrmacht bei der Aufstellung von Maschinengewehrabteilungen, bei der Ausgestaltung der Marschformationen und des Landsturmes erworben, endlich bei der Einführung der Marschküchen in materieller Hinsicht für ihr Wohl gesorgt". Auch Franz Conrad von Hötzendorf, Chef des Generalstabs der k.u.k. Armee im Ersten Weltkrieg, lobt Franz von Bolgár, der im Zusammenhang mit der Diskussion um die Reduktion der dreijährigen Dienstzeit „seine reichen Erfahrungen und seine eingehenden militärischen Kenntnisse in den Dienst der Sache stellte". [5]
[3] Das in der im Wiener Kriegsarchiv befindlichen Qualifikationsliste Bolgárs genannte Geburtsjahr 1850 beruht wohl auf einem
Schreibfehler. Auf dem Grab im Friedhof der Farkasrét von Buda ist die Aufschrift 1851-1923 zu lesen (freundliche Mitteilung von Dr. Andris J. Horvát vom Budapester Stadtarchiv). Auch gemäß
anderen zuverlässigen Quellen wie z. B. dem „Handbuch für Heer und Flotte", Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart 1909, S. 372, und den Handbüchern des ungarischen Parlaments ist 1851 das Geburtsjahr.
Vereinzelt wird aber auch 1852 genannt. An dieser Stelle sei Herrn Ing. Stefan Erdös, Winterthur, für seine Übersetzerdienste herzlich gedankt
[4] Scheuer, Oskar F.: Die Burschenschaft Fidelitas zu Wien 1876-1926, Wien 1926, S. 73, Fußnote 122 (nach freundlicher
Mitteilung von Herrn Gottfried Wirth, AH der Manessia Zürich, Josephina, Carolina und Maximiliana, alle zu Wien im KOL).
[5] Hötzendorf, Franz Conrad v.: Aus meiner Dienstzeit 1906-1918, Bd. 2, 1922, S. 148.
Bolgár hatte Duellerfahrung. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde er durch Zeitungsberichte [6] über den Duellprozess Schlayer-Bolgár. In der „Militärzeitung" Nummer 38 vom 15. Mai 1883 war ein Artikel erschienen, in welchem die Ernennung des Oberstleutnants des Generalstabskorps Hugo Eduard Wilhelm von Schlayer zum Kommandanten des neu aufgestellten Eisenbahn- und Telegraphenregiments zwar ohne Namensnennung, aber recht scharf kritisiert wurde, da dieser nicht die nötigen technischen Kenntnisse besitze. So stand dort unter anderem zu lesen: „Daß die betreffende Persönlichkeit auch kein Fachmann ist, haben wir an dieser Stelle schon ebenso betont als wir hervorhoben, daß der Commandant des Eisenbahn-Regiments nur ein ausgezeichneter Fachmann, ein hervorragender technischer Offizier sein darf. Dadurch, daß man vor so und so viel Jahren, zu Vaterszeiten, irgend eine Genieschule absolviert hat und eine kurze Spanne Zeit bei einem technischen Truppenkörper hinter dem Zug marschiert ist, hat man noch nicht das Recht erworben, sich einen Fachmann nennen zu dürfen — bei weitem nicht!" Der am 6. Juni 1838 in Stuttgart geborene Schlayer, Lehrer an der Kriegsschule und Professor an der Orientalischen Akademie zu Wien [7], forderte am 22. Mai 1883 durch die zwei ebenfalls an der Kriegsschule wirkenden Kameraden Oberst Wilhelm Stanger und Oberstleutnant des Generalstabes Karl Ritter von Guttenberg vom Redakteur der „Militärzeitung", Franz von Bolgár, Satisfaktion. [8] Dieser erklärte, „daß er selbst der Verfasser des fraglichen Artikels und bereit sei, für denselben inzustehen und dem Oberstlieutenant Schlayer die verlangte Genugtuung zu geben". [9]
[6] Neue Freie Presse, Abendblatt 28.06.1883, S. 2, und Morgenblatt, 29.06.1883, S. 6.
[7] Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser Österreichs, Wien 1905, S. 498. Die Grabrede hielt am 30.05.1883 in Stuttgart Stadtpfarrer Fischer (www.ahnen-forschung-kunert.de).
[8] Dass zwischen dem Erscheinen des Artikels in der Militärzeitung am 15.05.1883 bis zur Überbringung der Forderung am 22.05.1883 statt der üblichen 24 Stunden seit der Beleidigung bzw. deren Kenntnisnahme 7 Tage verstrichen, hing damit zusammen, dass die Sekundanten Schlayers die Sache erst dem Chef des Generalstabes vortragen mussten. Auch das zeigt, dass höchste Militärstellen das im militärischen wie bürgerlichen Strafrecht verbotene Duellieren guthießen.
[9] So die Anklageschrift gemäß Neue Freie Presse, Abendblatt 28.06.1883, S. 2. Bolgár erklärte vor Gericht, der Artikel sei ihm eingesandt worden, er habe ihn mit einigen Änderungen versehen und lediglich die drei letzten Sätze selbst geschrieben. Den Verfasser gab er also nicht bekannt. Ähnlich schildert den Vorgang Egon Eis, Duell, Geschichte und Geschichten des Zweikampfs, München-Wien-Basel 1971, S. 98. Laut ihm soll sich Bolgár hinter dem Redaktionsgeheimnis verschanzt haben, jedoch auf die Frage, ob er als Herausgeber des Blattes gewillt sei, die Verantwortung zu übernehmen, geantwortet haben: „Mit Vergnügen." Diese Formulierung ist allerdings nicht aktenkundig und dürfte eine schriftstellerische Ausschmückung sein. Denn Bolgár war alles andere als duellwütig. Er hatte zwar vorher manchem Zweikampf beigewohnt, aber nur passiv.
Am 24. Mai 1883 (Fronleichnamstag!), morgens 8 Uhr, fand in der Josefstädter Reiterkaserne zu Wien das Duell mit festem Stand auf 35 Schritte Distanz, mit einmaligem Kugelwechsel und je zwanzig Sekunden Zeit zum Zielen statt. Sekundanten Schlayers waren die Generalstabsoffiziere Baron Spiegelfeld (an Stelle des verhinderten Obersten Stanger) und Ritter von Guttenberg. Als erster Sekundant Bolgárs wirkte Ludwig Brandeis, tätig im Büro des Großhandlungshauses Weikersheim, Leutnant der Reserve des Dragoner-Regiments Erzherzog Albrecht Nr. 24, und 29 Jahre alt. Er galt in jungen Jahren als schneidiger Leipziger Burschenschafter und später als bester Reiter im Regiment. Als glänzender Säbelfechter hatte Brandeis erfolgreich mehrere Duelle ausgetragen und war auch ein begehrter Sekundant. Die Aufgaben als zweiter Sekundant hatte der ehemalige Offizier, Herausgeber und Redakteur der österreichisch-ungarischen Wehrzeitung „Der Kamerad", Heinrich Briller, übernommen. [10] Unmittelbar vor dem Zweikampf geschah etwas sehr Ungewöhnliches. Oberstleutnant Schlayer versuchte, Bolgár zu provozieren, „indem er sich knapp vor ihn hinstellte, ihn in höchst beleidigender Art ansah und sich sodann umkehrte". Das Benehmen Schlayers entsprach nicht den Regeln, denn auf dem Kampfplatz angekommen, haben „Gegner wie Sekundanten einander höflich zu grüßen", wobei Erstere sich „vollkommen schweigsam verhalten" müssen. [11] Bolgár blieb ruhig, überlegte einen Moment und stellte sich seinem Kontrahenten, den er vorher noch nie gesehen hatte, vor. Schlayer erwiderte barsch: „Wer ich bin, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen." [12] Ebenso unhöflich reagierte Schlayer, als sich Bolgárs Sekundant Briller, der auch durch das Los bestimmter Kampfleiter war, ihm vorstellte, indem er sagte: „Es ist mir kein Vergnügen, Sie kennen zu lernen, übrigens werden wir noch mit einander zu tun haben." Solches Verhalten verunmöglichte eine gütliche Lösung endgültig. Den von seinem Vertreter Guttenberg gemachten letzten Ausgleichsversuch wies Schlayer entschieden zurück. Und so begann der Zweikampf. Schlayer hatte, wie von ihm verlangt, den ersten Schuss, zielte zwölf bis fünfzehn Sekunden und fehlte. Bolgár, der infolge seiner Kurzsichtigkeit nur ungenau zielen konnte, drückte nach etwa sieben bis zehn Sekunden ab, „worauf Schlayer sofort lautlos zu Boden sank und in kurzer Zeit eine Leiche war. Nach dem Obductions-Befunde und Gutachten vom 26.5.1883 war die Kugel oberhalb des linken Auges dem Schlayer in den Kopf gedrungen und war die hiedurch bedingte Verletzung des Gehirnes eine absolut tödliche." [13]
[10] Benedikt, Heinrich: Damals im alten Österreich, Erinnerungen, Wien-München 1979, S. 67f.
[11] Bolgár, Franz v.: Die Regeln des Duells, 1. Auflage 1880, S. 29, 44; Neudruck 2008 der 8. Auflage von 1908, S. 42, 59.
[12] Prozessbericht in der Neuen Freien Presse (NFP), Abendblatt vom 28.06.1883, S. 2.
[13] NFP (wie Anm. [12]), S. 2.
In der Folge kam es wegen des „Verbrechens des Zweikampfs" vor dem Geschworenengericht [14] zum Prozess gegen Bolgár und seine Sekundanten Brandeis und Briller. Schlayers Vertreter Guttenberg und Spiegelfeld waren als Zeugen geladen. Den Vorsitz im aus zwölf Geschworenen bestehenden Gericht hatte Landesgerichtsrat Groß, Anklagevertreter war Staatsanwalt Pelser. Über das Auftreten des Hauptangeklagten Bolgár vor Schranken heißt es im Pressebericht: „Die Haltung ist die eines Militärs; die Züge verraten den Mann, der geistig zu arbeiten gewohnt ist. Sein blasses, nervöses Gesicht hat schwarzen Schnurr- und Backenbart; er sieht durch Augengläser." [15] In der Befragung erklärte Bolgár, er habe wegen seiner Kurzsichtigkeit nie gut geschossen und seit vier Jahren keine Pistole mehr in der Hand gehabt, hingegen sei er „im Fechten vollständig bewandert". Trotzdem habe er nicht den Säbel vorschlagen lassen, was zeige, dass er gegen Schlayer nicht feindselig gestimmt gewesen sei. Alle Angeklagten, Bolgár und seine Sekundanten, wurden nach der Schlussverhandlung vom 28. Juni 1883 wegen „unwiderstehlichen Zwanges" im Sinne von § 2 lit. g des österreichischen Strafgesetzes von 1852 von den Geschworenen einstimmig freigesprochen. „Aus dem Saale erscholl lebhafter Beifall; von der Galerie winkten mehrere Damen Herrn von Bolgár mit den Tüchern und riefen ihm ,Eljen, Bolgár!` (Es lebe Bolgár!) zu." [16] Nach den damals herrschenden Ansichten im Offizierskorps und in der übrigen „satisfaktionsfähigen" Gesellschaft konnten alle Beteiligten gar nicht anders handeln als sie es getan hatten: Schlayer musste Genugtuung verlangen, Bolgár musste sie geben, und die Sekundanten konnten die Bitte der Kontrahenten, als Sekundanten zu amten, nicht ablehnen. Alle wären sonst vom Ehrenrat kassiert und mit dem Stigma der Feigheit und Ehrlosigkeit schimpflich entlassen worden.
[14] Dass Bolgár nicht vor ein Militärgericht, sondern vor ein bürgerliches Tribunal kam, hing damit zusammen, dass er Offizier im Ruhestand war. [15] NFP (wie Anm. [12]), S. 2. Leider verfügt das Kriegsarchiv in Wien über kein Bild Bolgárs. Eine Anfrage beim Kriegsgeschichtlichen Archiv in Budapest (auch zum Todestag) blieb unbeantwortet.
[15] NFP (wie Anm. [12]), S. 2. Leider verfügt das Kriegsarchiv in Wien über kein Bild Bolgárs. Eine Anfrage beim
Kriegsgeschichtlichen Archiv in Budapest (auch zum Todestag) blieb unbeantwortet.
[16] NFP, Morgenblatt vom 29.06.1883, S. 6. Auch The Times, London, 25. und 28. Juni 1883, sowie The New York Times,
29.06.1883, brachten eine Notiz über den Prozess bzw. Prozessausgang.
Trotz des Freispruchs hielt Bolgár es für angezeigt, nach einer längeren Auslandreise Wien zu verlassen und in die ungarische Heimat zurückzukehren, wo das Pistolenduell strafrechtlich zwar ebenfalls verboten war, aber sehr milde beurteilt [17] oder gar nicht verfolgt wurde. Unter anderem wirkte er von 1884 bis 1906 als Redakteur beim Budapester Tagblatt. Krönung seiner Laufbahn war 1887 und 1892 die Wahl als Abgeordneter der von Albert Graf Apponyi geführten „gemäßigten Opposition" bzw. Nationalpartei zum ungarischen Reichstag für den Wahlbezirk Eisenstadt. Die in diesem Bezirk gelegene Gemeinde Hornstein verlieh Bolgár im Jahr 1900 die Ehrenbürgerschaft. Er hatte sich dafür eingesetzt, dass eine Studienkommission des Ackerbauministeriums in das Gebiet um Hornstein geschickt wurde, welche amerikanische Reben und Spritzmittel empfahl, wodurch die wenigen, von der Reblauskatastrophe nicht vernichteten Restbestände der Reben gerettet werden konnten. [18] Bolgár war als „Exzellenz" und „Geheimer Rat" auch gesellschaftlich sehr angesehen und Mitglied des ältesten und vornehmsten Clubs Ungarns, des „Nationalkasino" in Budapest, welcher den größten Teil des Hochadels in seinen Reihen hatte. [19] Zudem war er Präsident des ungarischen Aero-Clubs [20] und gehörte im April 1910 zur Abordnung der interparlamentarischen Konferenz, welche unter der Leitung von Graf Apponyi den früheren US-Präsidenten Theodore Roosevelt jr. im prächtigen Parlamentsgebäude von Budapest empfing. [21] Das hier abgedruckte Bild Bolgárs als Parlamentarier, das einzige mir bekannte überhaupt, ist eine im Original 3-5 cm große „Zigarettenkarte" der maltesischen Zigarettenmarke „Cousis" aus dem Jahre 1905 [22] mit Bildern von Parlamentariern aus ganz Europa (damals beliebte Sammlerobjekte wie heute Bildchen von Fußballern).
[17] Bartunek, Josef: Die Austragung von Ehrenangelegenheiten. Ein Beitrag zur zeitgemäßen Lösung der Satisfaktionsfrage, 2. Auflage, Wien 1912, S. 18, 37. Das Duell wurde in Ungarn nur als Vergehen und mit „Staatsgefängnis" (eine Art Kavaliershaft, ähnlich der Festungshaft) bestraft. Selbst bei tödlich verlaufenen Zweikämpfen gab es in der Regel nur einige Monate Staatsgefängnis, bei Verwundungen nur 2-3 Wochen oder gar nur wenige Tage. Der Verfasser, Oberleutnant Bartunek, war 1909 während einer Kur in Davos/Schweiz in einen Ehrennotwehrfall mit tödlichem Ausgang verwickelt; siehe Hauptmann Ludwig Berger, Der Waffengebrauch des Officiers. Ein Orientierungsbehelf. 2. Auflage, Linz 1901, Faksimile, Hilden 2007, Nachwort S. Xff.
[18] Marktgemeinde Hornstein, Infrastrukturelle Entwicklungen, in: www.hornstein.at [Schriftleitung: Die in den USA gezüchteten Reben waren angeblich gegen die Reblaus resistent.]
[19] Bartunek (wie Anm. [17]), S. 38.
[20] Braunbeck's Sport-Lexikon, Berlin 1909, S. 158 (aus: www.books.google.com).
[21] Google, Stichwort „Francis Bolgar TR in Hungary".
[22] Google, Stichwort „Francis Bolgar".
Bolgárs Werk „Die Regeln des Duells" muss ein Bestseller gewesen sein. Die erste Ausgabe erschien 1880 sowohl auf Deutsch als auch auf Ungarisch im Verlag Tettey in Budapest, während die erste Wiener Auflage 1882 im Verlag Beck herauskam. Hernach übernahm von der 2. bis zur 11. und letzten deutschen Auflage von 1928 der Verlag von L.W. Seidel & Sohn, k.u.k. Hofbuchhändler in Wien, die Edition.
Parallel dazu wurde das Buch auf Ungarisch mit dem Titel „A Párbaj Szabályai" (Die Duell-Regeln) in Budapest zwischen 1880 und 1908 achtmal neu aufgelegt. Bolgár schrieb das Werk, weil „unseres Wissens bisher bei uns keine korrekte Zusammenstellung der Duellregeln existiert und über diese selbst in den Kreisen der Armee die widersprechendsten Ansichten herrschen, ein Übelstand, der häufig zu großen, von den traurigsten Folgen begleiteten Unregelmäßigkeiten Anlass gibt". [23] Das Werk gründet, wie Bolgár selber festhält, auf zwei französischen Publikationen, nämlich dem berühmten „Essai sur le duel" des Comte Chatauvillard (1799-1869) von 1836, [24] dem „Nouveau Code du duel" von Comte Du Verger de Saint-Thomas (1879) sowie auf der 1848 in Pest erschienenen Schrift von Lajos (Louis) Chappon, „Die Regeln des Zweikampfes", die im Wesentlichen nur eine Übersetzung des „Code du duel" aus dem „Essai sur le duel" von Chatauvillard war.
[23] Bolgár, Vorwort zur 1. Auflage 1880, S. IV. Vor Bolgár hatten 1866 Alexander Mayer, Hauptmann im k.k. 31. Infanterie-Regiment, in seinem Büchlein „Der Zweikampf ehedem und heute" (Faksimile Hilden 2006) und 1879 Raimund Sebetic, „Duell-Regeln" (Neudruck in: „Säbel, Degen und Pistole" [wie Anm. [1]) einige Duellregeln zusammengestellt, wobei auch ihnen vor allem Chatauvillard als Vorbild diente.
[24] Siehe „Duell-Codex von Graf de Chatauvillard", Aus dem Französischen (Ausgabe 1836), Lahr 1864, Faksimile Hilden 2006, Geleitwort S. XIff.
Bolgár brachte diese Werke mit den einheimischen Gewohnheiten des Ehrenzweikampfes in Einklang. Trotzdem sind Bolgárs Regeln des Duells Ausdruck der romanischen Duellauffassung, die 1859 nach der Niederlage gegen die Franzosen in der Schlacht von Solferino vom österreichischen Offizierskorps übernommen worden war. „Mit dem romanischen Gegner auf Tod und Leben verkämpft", machte sich die Donaumonarchie „dessen Gedankengut zu eigen, wie im Verfassungsleben, so auch im Duellwesen." [25] Die von Graf Chatauvillard 1836 vertretene Anschauung, dass es einzig auf die subjektive Ehrauffassung ankomme, verdrängte die objektive Ehrauffassung und damit das alte germanische Duell mit dem obligatorisch vorhergehenden Ehrengericht. [26] Jeder hatte selbst zu entscheiden, was für Handlungen er als Duellgrund ansehen wollte und was nicht. „Wo die Grenze liegt, an der gewisse Handlungen den harmlosen Charakter verlieren und zu Beleidigungen werden, ist schwer allgemein festzustellen; es hängt dies in der Hauptsache von der Empfindlichkeit desjenigen ab, gegen den sie gerichtet sind." Bei schwereren Beleidigungen (z.B. Beschimpfung, Schlag) trat an die Stelle des subjektiven Einzel-Ermessens auch kein wirklich objektiver Maßstab, sondern das ebenfalls subjektive Mehrzahl-Ermessen der „in unserer Gesellschaft beziehungsweise der Armee gebräuchlichen Begriffe". [27] Ab 1880 war der „Bolgár" fast dreißig Jahre lang der nicht nur für das Militär, sondern auch bei den studentischen Waffenverbindungen Österreichs maßgebende Duellcomment. [28]
[25] Hielscher, Friedrich: Das kanonische Urteil der katholischen Kirche über die Mensur im 19. Jahrhundert, in: Einst und Jetzt 1962, S. 108; Andreas Mölzer, Das Waffenstudententum in Vergangenheit und Gegenwart, Sieben Aufsätze zur Geschichte und zur Ideologie des deutschen Korporationsstudententums unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen und der Grazer Verhältnisse, Graz 1980, S. 64.
[26] Hielscher (wie Anm. [25]), S. 108.
[27] Bolgár, 1. Teil, I./Einleitung; Hielscher (wie Anm [25]), S. 108; Theodor von Uzori-nac-Kohary, Ostmärkische Ehrenordnungen, in: Handbuch für den Deutschen Burschenschafter, 6. Auflage, Berlin 1932, S. 294. Auch Gustav Hergsell, Duell-Codex, 1. Auflage Wien 1891, 2. Auflage 1897, vertritt grundsätzlich die subjektive Ehrauffassung.
[28] Hielscher (wie Anm. [25]), S. 109. Hielscher zitiert mehrfach aus einer leider nicht publizierten Arbeit des Burschenschafters Dietrich Herzog über „Das studentische Duell- und Mensurwesen in Österreich". Bedauerlicherweise ist auch Herzogs Vortrag „Das Duell in Österreich" anlässlich der deutschen Studentenhistoriker-Tagung von 1974 nicht veröffentlicht worden, weil Herzog den Vortrag frei hielt und von ihm kein Manuskript erhältlich war (Der Convent, 1975, Heft 3, S. 57).
Erst 1907, nachdem die Duellgegner immer mehr an Boden gewonnen hatten, wurde mit dem „Ritterlichen Ehrenschutz" von Felix Busson ein Ehrenkodex eingeführt, der die zum Teil extremen romanischen Duellanschauungen milderte und der neuen Zeit anpasste [29] Dr. jur. und Bergbauingenieur Felix Busson (* 30. September 1874 in Innsbruck, t 14. Juni 1953), stammte aus einer Ende des 17. Jahrhunderts aus Frankreich nach Westfalen eingewanderten Familie. Sein in Münster/Westfalen geborener Vater Arnold studierte seit Wintersemester 1862/63 an der philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck und wurde beim Corps Athesia aktiv. 1870 erwarb er die österreichische Staatsbürgerschaft mit dem Heimatrecht in der Südtiroler Gemeinde Schmals. Bereits 1872, im Alter von nur 28 Jahren, war er in Innsbruck Ordinarius für Geschichte. Aus seiner Ehe mit einer in Aachen gebürtigen Frau gingen zehn Kinder hervor, darunter 1874 als zweites Kind der Sohn Felix. 1891 folgte Arnold Busson einem Ruf nach Graz als ordentlicher Professor für Geschichte des Mittelalters.
Nach dem frühen Tod des Vaters im Sommer 1892 begann Felix Busson im Wintersemester 1892/93 das Studium der Rechte an der Universität Graz und trat sofort als Renonce (im damaligen Sinne Fuchs) dem Corps Joannea bei. [30] Auch seine Brüder Paul (später Schriftsteller), Bruno und Arnold waren Joanneer. Während seiner Aktivität bekleidete Felix Busson zweimal die Charge des Conseniors (Fechtchargierter). Nach der Promotion zum Dr. jur. entschloss er sich, im Wintersemester 1895/96 das Studium der Bergbaukunde in Leoben aufzunehmen, wo er beim Corps Schacht rezipiert wurde. [31] Die sechs Leobener Semester standen im Zeichen höchster corpsstudentischer Beanspruchung. Die kleine Aktivenzahl musste durch Leistung und ständige Einsatzbereitschaft wettgemacht werden. Praktisch ohne Unterbruch blieb er Senior der Schachter und hatte zeitweise gleichzeitig auch die Chargen des Conseniors und Sekretärs sowie die Funktion des Fuchsmajors inne. Fast endlos ist die Reihe der geklammerten Chargenzeichen hinter seinem Namen und den Zirkeln. Bussons geistige Überlegenheit und Erfahrung machten ihn bald zum stillschweigend anerkannten Führer der gesamten Leobener Studentenschaft. Zudem galt er als herausragender Fechter. Nachweislich ist er mit Einschluss der Grazer Semester vierzehn Mal auf Schläger und elfmal auf Säbel angetreten. Weil aus dem Paukbuch der Joannea einige Seiten verloren gegangen sind, könnte die mündliche Überlieferung, gemäß welcher Busson insgesamt sogar 32 oder 33 Partien gefochten hat, durchaus zutreffen. Dass er dabei auch einiges abbekommen hat, zeigt eine Photographie, auf der markante Schmisse zu erkennen sind.
[29] Mölzer (wie Anm. [25]), S. 65.
[30] Kösener Corpslisten 1960, 49 Nr. 96.
[31] Kösener Corpslisten 1960, 94 Nr. 67.
Busson war somit Experte im österreichischen Säbelzweikampf, der bezüglich Waffe (Säbel mit schmalem Muschelkorb) [33], Technik (freie Mensur) und vor allem Gefährlichkeit (nur wenige Bandagen) mit der harmloseren deutschen und schweizerischen Säbelmensur, die mit dem schwerfälligen großen Korbsäbel und relativ starken Schutzvorrichtungen ausgetragen wurde, nicht verglichen werden kann. [34]
Da früher in der Regel ohne Schutzbrille gefochten wurde, waren in Österreich vor allem schwere Augenverletzungen oder gar der Verlust eines Auges nichts Außergewöhnliches. [35] Aber auch sonst kam es oft zu gravierenden Blessuren. 1928 wurde einem Beleger des Corps Vandalia Graz namens Sacher-Masoch bei einem Säbelduell gegen einen Sängerschafter das Stirnbein durchschlagen. [36] Ein am 25. Februar 1933 in Wien unter eher leichten Bedingungen (8er Klingen, Kettenhandschuh, Puls- und Unterarmschutz, Hals- und Bauchschutz) ausgetragenes Säbelduell zwischen zwei korporierten Tierärzten endete tödlich. Im 37. Gang schlugen beide eine Doppelterz. Die ersten Hiebe gingen auf die Klingen. Während A zur zweiten Terz aufzog und mit Arm und Klinge in der Höhe war, traf ihn B, der rascher war, unpariert auf die Brust. Sein Hieb durchschlug die 4., 5. und 6. Rippe sowie die Brustschlagader und verletzte die Lunge. Am 1. März 1933 erlag A im Krankenhaus seinen Verletzungen. [37] Auch etliche Säbelduelle im nicht korporationsstudentischen Bereich gingen tödlich aus. [38]
[32] Aus: Einst und Jetzt 1962, nach S. 160.
[33] Auch französischer Säbel, in Deutschland Muschelsäbel genannt; Schmied-Kowarzik, Josef/Kufahl, Hans: Fechtbüchlein, Leipzig 1894, S. 11 u. 16; § 196 Innsbrucker SC Paukcomment von 1914. Der in Deutschland und Österreich-Ungarn verwendete Duellsäbel hieß, obwohl er mit 800 bis 1.000 Gramm nicht viel wog, auch schwerer Säbel, um ihn vom noch leichteren, weniger wuchtig aussehenden Säbel der Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommenen italienischen Säbelschule zu unterscheiden, aus dem der heutige Sportsäbel entstand. Bei der studentischen Säbelmensur mit dem Korbsäbel in Deutschland und in der Schweiz (ca. 1.500 Gramm schwer) hat jedoch der Ausdruck „Forderung auf schwere Säbel" überhaupt nichts mit dem Gewicht der Waffe zu tun, sondern das Wort „schwer" bezieht sich auf Zahl und Art der Bandagen („schwere Säbel" gleich wenig Schutzbandagen gleich gefährlicher).
[34] Siehe Hauser, Peter: Die Säbelmensur in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich, in: Einst und Jetzt 2005, S. 71ff., besonders 89 und 104f., sowie als Separatum in: Schweizerische Vereinigung für Studentengeschichte, „Documenta et Commentarii", Nr. 28.
[35] Niedermeyer, Albert: Wahn, Wissenschaft und Wahrheit, Lebensbekenntnisse eines Arztes, Salzburg-Leipzig 1934, S. 56, 65. Niedermeyer war vor dem 1. Weltkrieg Mitglied der Wiener Akad. Burschenschaft Teutonia und später der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks (seit 1951 in Bonn).
[36] Festschrift Corps Vandalia Graz 1894-1994, Graz 1995, S. 105.
[37] Acta Studentica, Folge 151, März 2005, S. 9.
[38] Kufahl, Hans/Schmied-Kowarzik, Josef: Duellbuch, Leipzig 1896, S. 127ff.: Von den durch Zeitungsberichte in den Jahren 1884 bis 1896 bekannt gewordenen 79 Säbelduellen in Ungarn und Österreich verliefen drei tödlich, während es bei 37 zu schweren Verwundungen kam. Hubert Mader, Duellwesen und altösterreichisches Offiziersethos, Studien zur Militärgeschichte, Militärwissenschaft und Konfliktforschung, Band 31, Osnabrück 1983, S. 155ff., erwähnt anhand der Übersicht von Albert Wiesinger, Das Duell vor dem Richterstuhle der Religion, der Moral, des Rechtes und der Geschichte, Graz 1895, für die Jahre 1867-1893 total 32 Säbelzweikämpfe, von denen 3 zum Tod und 21 zu schweren Verletzungen führten.
Erschwerend kam hinzu, dass das österreichische Säbelduell in der Regel nicht auf eine bestimmte Anzahl Gänge, sondern grundsätzlich bis zur Kampfunfähigkeit ging. [39] Das Verabreden einer bestimmten Anzahl Gänge ist aber vorgekommen. Bei minder schweren Beleidigungen betrug die vereinbarte Zahl der Gänge 50 bis 150. Es gab jedoch schwere Säbelpartien, die erst nach 230 [40] oder sogar 287 Gängen [41] und mehr ihr Ende nahmen. Ein Gang besteht nicht wie in Deutschland und in der Schweiz aus einer bestimmten Anzahl Hiebe. Er ist vielmehr ungeachtet der Zahl geschlagener Hiebe die zwischen den Kommandos „Los!" und „Halt!" verstrichene Fechtdauer, kann also vor allem bei guten Fechtern sehr lange gehen. Die längste mir bekannte Säbelmensur fand 1908 zwischen Herrn Fischl der Jüdisch-nationalen akademischen Verbindung (JAV) Barissia Prag und NN statt; sie endete erst nach 61/2 Stunden. Rekordverdächtig ist ferner die am 13. Juli 1911 ausgefochtene Säbelpartie des Fuchsen Paul Horowitz von der JAV Makkabäa Wien gegen den Burschenschafter Laurenz Franz Ghibelliniae Prag, bei der Horowitz erst nach 550 Gängen abgeführt wurde. Während 51/2 Stunden duellierten sich am 22. Dezember 1911 der Makkabäer U. Pijade und F. Hermann vom Turnverein der Wiener Hochschulen. Die Partie M. Hauser JAV Charitas Graz gegen L. Komposch Germaniae Leoben war dagegen „schon" nach drei Stunden und 201 Gängen ausgepaukt. [42] Selbst wenn man annehmen muss, dass diese Säbelduelle nicht ohne mehrere Pausen vor sich gingen, gehörten sie konditionell in die Kategorie „Spitzensport".
[39] Wieprecht, Erich: Das Fechten und Mensurwesen an deutschen Hochschulen, in: Das Akademische Deutschland, Band II, Berlin 1931, S. 76; Robert Thaller, Studentisches Satisfaktionswesen und PP Suiten in Österreich, Vortrag vor der studentengeschichtlichen Vereinigung des CC am 25.5.1985 (Manuskript ohne Seitenzahlen).
[40] Freundliche Mitteilung von Dr. med. Albin Kulhanek Akademische Sängerschaft Skalden zu Innsbruck, Thuringiae Heidelberg (im WSC).
[41] Molo, Walter von: Als ich die bunte Mütze trug, Studenten-Erinnerungen, 1904, Nachdruck Hilden 2004, S. 55, bei einer Säbelpartie eines Fuchsen beim „Reigen" (Säbel PP) der Burschenschaft Vandalia Wien gegen die schwarze Verbindung Fraternitas Wien am 22.01.1899. Der Fuchs kassierte dreizehn Blutige und 65 Nadeln.
[42] Freundliche Mitteilung von Gottfried Wirth Manessiae Zürich, Josephinae, Carolinae, Maximilianae (alle zu Wien im KÖL) unter Hinweis auf „50 Semester Barissia Prag", 1928, S. 86 ff., und die Paukbücher der Jüdisch-akademischen Verbindungen (JAV) Makkabaea Wien und Charitas Graz. Vgl. ferner Harald Seewann, „Für Volkes Ehr' und Wohl!", Die Jüdisch-nationale akademische Verbindung Hasmonaea Czernowitz (1891-1940) und der Kampf um die Anerkennung der jüdischen Nationalität, in: Einst und Jetzt 2006, S. 191.
Doch zurück zu Felix Busson. Nach seiner Philistrierung als Dr. jur. und diplomierter Bergingenieur stand er dem Corps Schacht während mehr als 25 Jahren als Vorsitzender des Altherren-Verbandes zur Verfügung. Der Schacht und sein Muttercorps Joannea verliehen ihm wegen seiner Verdienste die Ehrenmitgliedswürde. In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg trat er für den Zusammenschluss der gleichgesinnten österreichischen Corps im Hohensalzburger und später im Dürnsteiner Seniorenkonvents-Verband ein. Auch die Aufnahme der Senioren-Convente (SC) von Wien, Graz und Leoben in den Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV) im Jahre 1919 war maßgeblich Bussons Anstrengungen zu verdanken. Der SC zu Innsbruck trat dem KSCV bereits 1902 bei, das Corps Gothia Innsbruck schon 1898, was auch darauf zurückzuführen war, dass die Innsbrucker Corps ziemlich viele deutsche Zweibänderleute hatten.
Beruflich war Felix Busson zuerst während etwas mehr als zehn Jahren im Staatsdienst tätig, zuletzt bis 1912 als Oberbergkommissär in Leoben. Nach einer kurzen Übergangszeit als frei praktizierender Rechtsanwalt wirkte er lange Zeit als Generalsekretär der Österreichischen Alpinen Montangesellschaft, des damals größten österreichischen Bergbau- und Eisenhüttenkonzerns. Wegen seiner früh zum Ausdruck gebrachten Ablehnung des Nationalsozialismus wurde er während der „Anschlusszeit" (1938) seiner Stellung enthoben. Im unfreiwilligen Ruhestand schrieb er 1942 einen Kommentar zum allgemeinen Berggesetz. Umso größer war seine Genugtuung, als ihn die Regierung nach 1945 mit den Vorarbeiten für die Neufassung des Berggesetzes betraute. Nach einem Schlaganfall und über ein Jahr dauerndem Siechtum verstarb Busson 1953 im Alter von 79 Jahren. Mit ihm trat ein „Ritter ohne Furcht und Tadel" und einer der größten österreichischen Corpsstudenten ab. [44]
Die Erinnerung der heutigen Waffenstudenten Österreichs an Felix Busson ist vor allem seinem Buch „Ritterlicher Ehrenschutz" zu verdanken. Es erschien erstmals 1907 im Verlag von Franz Pechel in Graz. 1931 kam ebenfalls bei Pechel die 2. Auflage und 1998 im Karolinger Verlag Wien/Leipzig ein gediegener vom Steirischen Studentenhistoriker-Verein in der Reihe „Die Bibliothek von R***" veranlasster, jetzt vergriffener Nachdruck heraus.
[43] Lithographie von H. Revy, Alter Herr der Burschenschaft Silesia Wien, in: Einst und Jetzt 1963, nach S. 56. Das Bild vermittelt bezüglich Zahl und Standort der Spektanten einen falschen Eindruck. In aller Regel waren außer den Paukanten nur die offiziellen Beteiligten, nämlich der Unparteiische, die Vertreter der Paukanten, Sekundanten, Testanten, Ärzte mit Gehilfen, Speerwischer und allenfalls einige wenige Vertreter der beiden Korporationen zugelassen. Und Zuschauer durften sich niemals so nahe bei den Paukanten und Sekundanten aufhalten, weil sie deren Bewegungsfreiheit behindert hätten.
[44] Die meisten biographischen Angaben stammen aus Richard Walzel: Felix Busson, Das Lebensbild eines österreichischen Corpsstudenten auf dem Hintergrund der politischen und studentischen Geschichte, in: Einst und Jetzt 1962, S. 156ff.
Der „Busson" ist im Wesentlichen eine Erneuerung und Abänderung des „Bolgár" [45] und hat diesen in studentischen Kreisen ziemlich rasch, allerdings nicht ganz, abgelöst. [46] In den 1920er und 1930er Jahren galt in Wien Bolgár oder Busson, während in Graz fast ausnahmslos der „Busson" angewendet wurde. Diesem frönte man auch in Leoben, während in den studentischen Kreisen Innsbrucks der stark vom Bussonschen Gedankengut durchdrungene „Ehrenkodex der deutschfreiheitlichen Studentenschaft Innsbrucks" von 1929 bzw. ab 1932 die „Innsbrucker Ehrenordnung" maßgebend war. Diese vereinigte die Ehrenbräuche des Allgemeinen Deutschen Waffenrings ADW mit den österreichischen Sitten, und sie wurde geschaffen, weil es damals in Innsbruck eine große Zahl „reichsdeutscher" Studenten gab. In Prag, Brünn, Tetschen und Czernowitz stützte man sich für die Austragung mit der Waffe auf Bolgár. [47] Gemäß meinen bei der Vorbereitung eines Referates über die Säbelmensur (siehe Anmerkung [34]) eingeholten Auskünften bei einigen Gewährsleuten und Kennern der heutigen Verhältnisse hat sich daran nicht sehr viel geändert. Der „Busson” gilt an sämtlichen Hochschulorten Österreichs, wenn auch nicht bei allen schlagenden Verbindungen. Einige Korporationen, vor allem in Wien, bevorzugen weiterhin den „Bolgár". [48]
Um die vorletzte Jahrhundertwende war das Duell in der k.u.k. Monarchie und im Deutschen Reich sehr umstritten. 1902 vereinigten sich die Duellgegner in Deutschland in der Anti-Duell-Liga, in Österreich in der Allgemeinen Anti-Duell-Liga und in Ungarn in der Anti-Duell-Zentralliga. Der „Ritterliche Ehrenschutz" von Busson kam 1907 auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um das Duellwesen innerhalb von Adel, Offizierskorps, Bürgertum, Akademikern und Studentenschaft heraus. [49] Busson hat das Werk, wie im Vorwort ausgeführt, nicht allein, sondern „im Verein mit den Herren Ing. Franz Aubell, Dr. Willibald Klauser und techn. Georg Zimek" geschrieben. Bei den Genannten handelt es sich um waffenstudentische Weggefährten Bussons. Prof. Dr. techn. Franz Aubell, 1919 Rektor der Montanistischen Hochschule Leoben, war Inhaber der Corpsschleife (IdC) des Corps Erz Leoben. [50] Der Grazer Zahnarzt Dr. Willibald Klauser gehörte seit 1891 der Akademischen Burschenschaft Stiria Graz an und war in der Zwischenkriegszeit der herausragende Grazer Burschenschafter. [51] Der spätere Oberingenieur Georg Zimek, Graz, trug das Band der Akademischen Burschenschaft Ostmark Graz. [52] Der „Busson" ist somit nicht ein rein corpsstudentisches Duellhandbuch.
[45] Uzorinac-Kohary (wie Anm. 27), S. 295.
[46] Paschke, Robert: Studentenhistorisches Lexikon, Köln 1999, S. 61.
[47] Uzorinac-Kohary (wie Anm 27), S. 295f.
[48] Siehe auch Mölzel (wie Anm. [25]), S. 80.
[49] Nachwort zur Neuausgabe des „Busson" von 1998 im Karolinger Verlag.
[50] Kösener Corpslisten 1960, 92, Nr. 246, gest. 1954.
[51] In der Burschenschafter-Stammrolle von 1934, S. 245, wird Klauser als Leobener Germane geführt, und zwar mit Rezeptionsjahr 1891, obwohl er das Germanenband erst 1921 bekam. Die Falschinformation in der Stammrolle 1934 erfolgte wohl aus politischen Rücksichten, war doch die Stiria in den 1930er Jahren vom Ständestaat verboten worden. In den älteren Stammrollen figuriert Klauser korrekt als Stire (freundliche Mitteilung von Gerhard Taus Amelungiae Wien im ÖCV).
[52] Burschenschafter Stammrolle 1934, S. 564.
Busson und seine Mitautoren wollten laut Vorwort „zeitgemäße Bestimmungen über den ritterlichen Ehrenschutz zusammenstellen". Das Buch verdankt sein Entstehen „der Erkenntnis, daß die vorhandenen Werke über ritterlichen Ehrenschutz in vielen Punkten unserer des Kastengeistes alter Zeit sich entledigenden Lebensanschauung nicht mehr entsprechen". Man trachtete etwas zu schaffen „was den geänderten Anschauungen über Ehre und Genugtuung Rechnung tragen und, frei von der Berücksichtigung besonderer Berufs- und Standesvorrechte, der Allgemeinheit von Nutzen sein sollte". Im alten Österreich war denn auch der Kreis derer, die auf dem Boden ritterlicher Genugtuung standen, bedeutend weiter als im Deutschen Reich. Es war durchaus keine Seltenheit, dass Lehrer, absolvierte Fachschüler und Angestellte Ehrenstreitigkeiten mit der Waffe austrugen, wenn keine gütliche Lösung möglich war. [53] Mit den, wie Busson schreibt, „vorhandenen Werken" ist neben dem „Duell-Codex" von Gustav Hergsell aus dem Jahre 1891 (2. Auflage 1897) vor allem das in studentischen Kreisen lange Zeit geltende Handbuch Franz von Bolgárs „Die Regeln des Duells" gemeint. Schon der Titel der beiden Bücher zeigt den unterschiedlichen Geist, der sie beseelt. „Ritterlicher Ehrenschutz" nach Busson verlangt nicht unbedingt das Duell, doch wird diesem, wenn es als unvermeidbar erscheint, aller Ernst zuerkannt. [54] Die bereits erwähnte, von Bolgár bei Chatauvillard entlehnte „subjektive Ehrauffassung", bei der die Duellgründe in der Hauptsache von der Empfindlichkeit dessen abhängen, gegen den sie gerichtet sind, [55] lehnt Busson ab. Die Beleidigung muss Merkmale an sich haben, die sie allgemein als solche erkennen lassen. „Der persönlichen Empfindlichkeit Rechnung zu tragen, entspricht zwar der Höflichkeit, kann aber keineswegs Pflicht sein". [56] Für Busson braucht es daher „sachliche (objektive) Merkmale" sowie die erwiesene Beleidigungsabsicht, um eine duellwürdige Ehrverletzung annehmen zu können. [57] Eine solche ist daher ausgeschlossen, wenn physischer Mangel an Willen vorhanden ist, z.B. Volltrunkenheit. [58] Damit wandte sich Busson vor allem gegen Ehrenhändel, die aus nichtigem Anlass als Folge übersteigerten Ehrgefühls vom Zaune gebrochen wurden und deshalb dem von ihm als durchaus schützenswert anerkannten Duellgedanken an sich schadeten und den Duellgegnern willkommenen Anlass für ihre Polemiken boten. Handlungen oder Unterlassungen ohne die Absicht, beleidigen zu wollen, sollten nicht zum Duell führen. Es kann zum Beispiel passieren, dass jemand durch eine Flügeltüre geht und nicht bemerkt, dass jemand folgt, er die Tür nicht aufhält und sie vor dem anderen zufällt. Gemäß Bolgár kann sich der Hintere durchaus beleidigt fühlen, laut Busson liegt jedoch keine Beleidigung vor, weil der Vordere die Türe nicht absichtlich zufallen ließ. Das Beispiel [59] zeigt, welche Banalitäten damals diskutiert respektive von gewissen Leuten als Duellgrund betrachtet wurden.
[53] Uzorinac-Kohary (wie Anm 27), S. 293; Wilhelm Tochtermann, Erinnerungen und Rückblenden eines Dichters und Arztes, in: Einst und Jetzt 1975, S. 83. Er berichtet von zwei nicht akademischen Kaufleuten aus Innsbruck, die als Beleger auf Waffen des Corps Gothia auf Säbel angetreten waren.
[54] Walzel (wie Anm. [44]), S. 166.
[55] Uzorinac-Kohary (wie Anm. 27), S. 294. Busson, Kommentar zu den Art. 1 und 2, zitiert Bolgär wörtlich, ohne ihn zu nennen. Vgl. auch Hielscher (wie Anm. [25]), S. 108; Henning Lenthe, Brauchtum der Burschenschaft, Band 2 der Geschichte der Burschenschaft Danubia zu München, München 1998, S. 287.
[56] Busson, Art. 2 Abs. 2.
[57] Busson, Kommentar zu Art. 2.
[58] Kommentar, Abs. 4ff. zu Art. 6; bloße Trunkenheit kann laut Busson, Art. 35, ein Milderungsgrund sein; vgl. auch Uzorinac-Kohary (wie Anm. [27]), S. 295.
[59] Aus Lenthe (wie Anm. [55]), S. 288.
Beide Autoren betonen, dass die Sekundanten alles tun sollten, um „eine friedliche Erledigung der Ehrenangelegenheit zu erwirken". [60] Sie wollen denn auch aus nahe liegenden Gründen ihre Ratgeber keinesfalls als Aufmunterung zum verbotenen Duell verstanden wissen. Die Möglichkeit, eine Beleidigung durch Entschuldigung oder Abbitte zu sühnen, hat im „Busson" jedoch größeres Gewicht als bei Bolgár. Das ergibt sich allein schon daraus, dass sie Busson an erster Stelle aufführt, Bolgár nur an zweiter. [61] Ob es zu einem Zweikampf kommt und wenn ja, unter welchen Bedingungen, entscheiden in Österreich die Sekundanten. Zu Recht prägte der französische Fechtmeister Augustin Grisier (1791-1865) den oft zitierten Satz: „Ce ne sont ni les balles ni les épées qui tuent, ce sont les témoins." (Es sind weder die Kugeln noch die Degen, welche töten, es sind die Zeugen.). [62] Zwingend vorgeschriebene Ehrengerichte mit schlichtender Kompetenz, ohne deren Genehmigung seit etwa 1870 in Deutschland [63] und in der Schweiz kein studentisches Duell auf schwere Waffen (Säbel und Pistole) stattfinden durfte, [64] gab es bis zum Ersten Weltkrieg in Österreich nicht. [65] Dort hatte das Ehrengericht vielmehr die Aufgabe, die Frage der Satisfaktionsfähigkeit oder Waffenwürdigkeit eines Beteiligten zu beurteilen, wenn diese angezweifelt oder gar bestritten wurde. [66] Konnten sich die Vertreter oder Sekundanten über einen Punkt der Austragungsbedingungen nicht einigen, so wählten sie einen in Ehrensachen allgemein als maßgeblich anerkannten und erfahrenen Mann als Schiedsrichter [67] bzw. ein dreiköpfiges Schiedsgericht. [68] Das genügte Busson jedoch nicht. Er wollte „etwas Neues", eine für das Duellwesen der k.u.k. Monarchie bisher unbekannte Institution schaffen, die wie das studentische Ehrengericht in Deutschland und in der Schweiz vor allem grundlose Forderungen und Duelle verhindern sollte. In diesem Sinne befürwortete er in Art. 133 seines Buches einen aus drei Personen bestehenden sog. „Ehrenrat", der „zu beurteilen befugt ist, ob jemand eine Forderung, für die ihm keine Begründung vorzuliegen schien, anzunehmen verpflichtet ist". Auch Bolgár konnte sich diesem Gedankengang offenbar nicht völlig verschließen, erwähnt er doch in der nur ein Jahr nach dem „Busson" erschienenen 8. Auflage, allerdings nur in einer Anmerkung, ein „Duellgericht" oder „Waffengericht", dem die Sekundanten, wenn sie nicht einig sind, die Frage unterbreiten dürfen, ob als Folge eines bestimmten Verhaltens ein Duell nötig sei oder nicht. [69] Anders als das Ehrengericht der deutschen und schweizerischen waffenstudentischen Ehren- und Paukordnungen waren aber in Österreich Ehrenrat, Duell- oder Waffengericht, Schiedsrichter oder Schiedsgericht nicht obligatorisch. Es lag in der Hand der Sekundanten, ob sie diesen Weg beschreiten wollten. [70]
[60] Busson, Art. 60 Abs. 5; Bolgár, 1. Teil, VI./10.
[61] Busson, Art. 22; Bolgár, 1. Teil, 111./5.
[62] Grisier, Auguste: Les armes et le duel, Paris 1847, S. 86, zitiert nach Jean-Noel Jeanneney, Le Duel, Une passion francaise 1789-1914, Paris 2004; S. 80. Dieser Satz wird oft fälschlicherweise dem französischen Journalisten, Schriftsteller und Satiriker Alphonse Karr (1808-1890) zugeschrieben, der ihn nur zitiert hat. In leicht abgeänderter Form verwenden ihn auch Bolgár, 1. Teil, Einleitung zu VI. Abs. 3, und Hergsell, 2. Auflage 1897, S. 3, dagegen erwähnt ihn Busson nicht.
[63] Bauer, Erich: Schimmerbuch für junge Corpsstudenten, 7. Auflage, Bielefeld 2000, S. 106. Der erste allgemeinverbindliche Ehrengerichts-Comment des KSCV wurde auf Antrag des SC zu Göttingen 1882 ausgearbeitet und vom oKC 1883 beschlossen (abgedruckt in meinem Aufsatz über die Säbelmensur [wie Anm. [34] S. 79). In Leipzig zum Beispiel heißt es im § 107 des SC-Paukcomments von 1870: „Pistolen- und Säbelforderungen dürfen nicht ausgefochten werden, bevor sie einem Ehrengericht zur Prüfung vorgelegt worden sind."
[64] So z.B. § 15 der Ehrengesetze und Zweikampfregeln für die Deutsche Burschenschaft, 1902; § 23 der Paukordnung des Schweizerischen Waffenrings SWR, 1930. Diese Ehrengerichte hatten weitgehende Befugnisse: Genehmigung der Forderung, Herabsetzung der Forderung, z.B. von einer schweren Säbelforderung („Säbel sine-sine”) auf eine mittlere („Säbel sine") oder leichte („Säbel cum", bei Aktiven sogar von Säbel auf Schläger), Verpflichtung des Beleidigers zum Widerruf (Revokation) oder Widerruf mit Abbitte (Revokation und Deprekation), oder sogar Ablehnung der Forderung, falls nach Ansicht des EG keine Beleidigung gegeben war oder wenn der Beleidiger freiwillig eine Ehrenerklärung abgegeben hatte.
[65] Kufahl/Schmied-Kowarzik (wie Anm. [38]), S. 309, 324 und 335; dieselben, Der Zweikampf auf den Hochschulen, Leipzig 1896, Faksimile Hilden 2006, S. 73, 88 und 99; Rink, Hermann: Pistolenforderung 1912, in: Einst und Jetzt 1999, S. 241.
[66] Bolgár: 1. Teil, V./12; Busson, Art. 106-131.
[67] Bolgár, 1. Teil, VI./13.
[68] Busson, Art. 132.
[69] Bolgár, 1. Teil, VI./13; Uzorinac-Kohary (wie Anm. [27]), S. 295. Auch Luigi Barbasetti lässt in der Einführung zur 3. Auflage seines „Ehren-Kodex", Wien 1908, seine Sympathie für das schlichtende Ehrengericht erkennen.
[70] Die ersten studentischen Ehrengerichte Osterreichs dürften sich gegen 1914 in Innsbruck etabliert haben, z.B. das SC-Ehrengericht gemäß Innsbrucker SC-Paukcomment von 1914, § 194 (Genehmigung von Säbelforderungen) und § 215 (Pistolenforderungen); siehe auch Rink (wie Anm. 65), S. 242. Die Innsbrucker Ehrenordnung von 1932, die eine „Verschmelzung des österreichischen und reichsdeutschen studentischen Ehrenbrauches" bezweckte, erklärte das Ehrengericht als obligatorisch und war gemäß Art. 125 in Verbindung mit Art. 21 befugt, 1. festzustellen, ob eine Beleidigung vorliege; 2. im Falle einer Beleidigung den Grad dieser Beleidigung zu bestimmen; 3. zu entscheiden, in welcher Form Genugtuung zu geben sei (1. durch Erklärung, 2. Zurücknahme der Beleidigung, 3. Zurücknahme mit dem Ausdruck des Bedauerns, 4. in besonders schweren Fällen Abbitte und schließlich 5. durch Waffen (Zweikampf). Es scheint, dass in der Praxis seit 1945 überall in Österreich bei jeder Ehrensache ein Ehrengericht mit den vorstehend genannten Kompetenzen nach Innsbrucker Muster einberufen wird. Damit sollen völlig grundlose Duelle vermieden werden. Und kommt es zu einem Säbelzweikampf, so werden Schutzmaßnahmen getroffen, die tödliche Verletzungen höchst unwahrscheinlich machen. Axillar- und Genitalschutz, Kettenhandschuh, Hals- und Pulsbinde, stählerne Brille und das gestärkte Leinenhemd, allenfalls Schutzbleche und Leder, führen dazu, dass Säbelpartien, die zwar immer bis zur Kampfun-fähigkeit vereinbart werden, nie tödlich enden; siehe Mölzer (wie Anm. [25]), S. 81 und 82f.
Der „Bolgár" und der „Busson" unterscheiden sich aber nicht nur in der Frage der subjektiven oder objektiven Ehrauffassung, sondern auch bei etlichen Duellmodalitäten. In vielem stimmen sie jedoch auch überein. Bei Bolgár finden wir sieben Arten von Pistolenduellen, bei Busson, mehr auf Einfachheit bedacht, nur deren zwei („auf Kommando" und „auf Signal"). [71] Laut Bolgár ist die Verwendung von Pistolen mit gezogenen Läufen zwar zu vermeiden, aber „nicht absolut ausgeschlossen", während Busson solche Waffen ohne Ausnahme ablehnt. [72] Die Mindestdistanz beträgt jedoch gemäß beiden Werken 15 Schritte, wobei darunter nach Bolgár stillschweigend [73] und bei Busson ausdrücklich der „militärische Normalschritt von 75 cm" und nicht der sog. Sprungschritt von ca. 150 bis 160 cm zu verstehen ist. [74] Einigkeit besteht ferner, dass beim Pistolenduell höchstens ein dreimaliger Kugelwechsel vereinbart werden darf. [75] Den Übergang von einem unblutig verlaufenen Pistolen- zu einem Säbelzweikampf und umgekehrt wertet Busson als verpöntes zweites Duell in derselben Angelegenheit, während Bolgár das „mit Zustimmung der Gegner unter Umständen" gestattet. [76] Das absichtliche In-die-Luft-Schießen kritisiert Bolgár zwar als anrüchig, verbietet es aber nicht, während es Busson, für den ein Duell niemals Spielerei sein darf, als in jedem Falle „unstatthaft" bezeichnet. [77] Aus dem gleichen Grund erachtet Busson im Gegensatz zu Bolgár auch das französischer Tradition folgende Säbelduell „auf erstes Blut", das bei der geringsten Verletzung beendet wird, in jedem Fall als unzulässig, denn der Säbelzweikampf soll „stets bis zur Kampfunfähigkeit eines der beiden Gegner geführt werden". [78] Im Zusammenhang mit den Schutzvorrichtungen (Bandagen) befürworten beide Autoren das Tragen eines Fechthandschuhs, weil sonst schon eine geringe Hand- oder Handgelenkverletzung zur Beendigung des Duells führen könnte. [79] Wird nicht mit nacktem Oberkörper, sondern im Hemd gefochten, so darf dieses nicht gestärkt sein. [80] Dass einer der Duellanten bei einem Zweikampf in einem geschlossenen Raum an die Wand gedrängt wird, ist kein Grund um „Halt" zu rufen. [81] Blanke Duellwaffen sind laut Bolgár Säbel und Degen, während im „Busson" der für das romanische Duell typische Degen fehlt. [82] Busson gibt dem Säbel gegenüber der Pistole klar den Vorzug und will die Pistole auf sehr seltene Ausnahmefälle beschränken (Unfähigkeit zur Führung einer Hiebwaffe aus körperlichen Gründen oder wegen hohen Alters). [83] Laut ihm ist „die Blankwaffe vom moralischen Standpunkt aus unbedingt höher zu stellen als die Schusswaffe, da man mit jener den persönlichen Mut gewiss mehr zur Geltung bringen kann". [84] Gestattet ist nach Busson aber nur der Säbelhieb. Den Säbelzweikampf mit Stich zählt er, weil angeblich gefährlicher, zu den außergewöhnlichen Arten des Duells und erlaubt ihn nur auf besondere Vereinbarung und bei schwersten Beleidigungen dritten Grades. [85] Bolgár dagegen lässt für die Vereinbarung des Stichs mit dem Säbel mehr Spielraum. [86] Die Frage, ob der Säbelzweikampf auf Hieb und Stich gefährlicher sei als derjenige nur auf Hieb, ist übrigens kontrovers. Namhafte Autoren sind anderer Ansicht als Busson und befürworten den Stich mit dem Säbel, weil er vom wilden Drauflosstürmen abhalte, mithin ein wirksames Abwehrmittel sei und zu einem ruhigen, vorsichtigen Klingenspiel zwinge. [87] Nicht gleicher Auffassung sind Bolgár und Busson auch bezüglich der für ein Duell am besten geeigneten Tageszeit: Bolgár [88] favorisiert aus Gründen der körperlichen und nervlichen Befindlichkeit die „frühen Nachmittagsstunden" und rät von den frühen Morgenstunden klar ab, während Busson gerade diese empfiehlt, weil dann „eine Störung von außen nicht zu erwarten" sei. [89] Bei Verstößen gegen die Duellregeln haben die Sekundanten „selbst mit Gefährdung ihres eigenen Lebens" einzugreifen, [90] wobei Busson das beim Pistolenzweikampf in verschiedenen Regelwerken erwähnte Recht bzw. die Pflicht der stets mit geladener Pistole bewaffneten Sekundanten, auf den krass gegen die Regeln handelnden und dadurch den eigenen Klienten gefährdenden Gegner zu schießen, [91] als „Selbstjustiz" ablehnt. [92] Auch Bolgár gestattet das „Über-den-Haufen-Schießen" des fehlbaren Duellanten lediglich beim außergewöhnlichen Pistolenduell mit nur einem geladenen Lauf („Übers Sacktuch schießen"), wenn einer vor dem Signal feuert. [93]
Soviel zu den wichtigsten Unterschieden bzw. Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Klassikern unter den österreichischen Duellratgebern. Seit Ende des 2. Weltkrieges werden in studentisch-akademischen Kreisen Österreichs vorkommende Ehrenstreitigkeiten meistens nach Busson, aber auch nach lokalen Ehrenordnungen wie z.B. dem Ehrenabkommen des Wiener Korporationsringes WKR [94] aus den 1950er Jahren oder der Innsbrucker Ehrenordnung in der Fassung von 1967 behandelt. Diese Regelwerke verweisen aber für gewisse Fragen wiederum meistens auf den „Ritterlichen Ehrenschutz" von Busson, der damit seine Bedeutung auch nach über hundert Jahren nicht eingebüßt hat.
[71] Bolgár, 2. Teil, III.; Busson, Art. 103.
[72] Bolgár, 1. Teil, IV./4. lit. b Abs. 2; Busson, Art. 98 Abs. 3.
[73] Bolgár, 2. Teil, III/A./1.
[74] Busson, Kommentar zu Art. 93. Sprungschritte finden wir dagegen in Regelwerken über das studentische Pistolenduell, z.B. Ehrengesetze und Zweikampfregeln für die Deutsche Burschenschaft, 1902, Besonderer Teil § 51; Ehrenordnung des Allgemeinen Deutschen Waffenrings, 1928, Stück 19 Ziffer II.; § 217 Innsbrucker SC-Paukcomment von 1914; Art. 93 Innsbrucker Ehrenordnung 1932; § 142 Ehren- und Paukordnung der Schweizerischen Akademischen Turnerschaft (SAT), 1910 und 1917; C 110 Paukordnung des Schweizerischen Waffenrings (SWR), 1930.
[75] Busson, Art. 40 lit. b; Bolgár, 2. Teil, III./Einleitung.
[76] Busson, Art. 94; Bolgár, 1. Teil, VI./18. Auch Hergsell, 2. Auflage (wie Anm. [27]), S. 40 und 152, erachtet die Fortsetzung des Zweikampfes mit Säbeln „bei besonders erschwerten Momenten" als zulässig.
[77] Bolgár, 2. Teil, 111./19. Anm. "*"; Busson, Art. 95.
[78] Busson Art. 72; Bolgár, 1. Teil, V1125.
[79] Busson, Kommentar zu Art. 40 lit. a Abs. 4 (Kettenhandschuh); Bolgár, 2. Teil, 1.11.110. Anm. "(Fechthandschuh mit Stulpen, die auch Teile des Unterarms schützen).
[80] Bolgár, 2. Teil, 1./1./5. Anm. *; Busson, Art. 78.
[81] Bolgár, 2. Teil, 1./1./22. Anm. *; Busson, Art. 83 Ziff. 5 Abs. 3.
[82] Bolgár, 1. Teil, IV./1.; Busson, vor Art. 69.
[83] Busson, Art. 92 Abs. 2.
[84] Busson, Art. 69 und Einleitung zum Pistolen-Zweikampf, vor Art. 92. Im KSCV gab es seit 1865 regelmäßig Vorstöße zur Eindämmung des Pistolenduells; vgl. Fabricius, Wilhelm: Geschichte und Chronik des Kösener SC-Verbandes, 3. Auflage 1921, S. 67ff.
[85] Busson, Art. 70.
[86] Bolgár, 2. Teil, 1./2.
[87] So z.B. Barbasetti, Luigi: Ehren-Kodex, 3. Auflage, Wien/Leipzig 1908 (Faksimile im Hilden 2008 mit einem Nachwort von P.H.), Art. 99; derselbe, Das Säbelfechten, Wien 1899, S. 59 ff.; Czeipek, Filipp: Die Fechtkunst im Duell, Graz 1897, in: Säbel, Degen und Pistole (wie Anm. [1]), S. 66ff.; Ristow, Gustav: Ehrenkodex, 2. Auflage Wien 1912, Anm. zu Art. 166.
[88] 1. Teil, VI./14. Anm. *; wie Bolgár auch Hergsell (wie Anm. [27]), S. 45f., wonach die „vorgerückten Stunden des Tages psychologisch und physiologisch den frühen Morgenstunden vorzuziehen" seien.
[89] Busson, Kommentar zu Art. 99 Abs. 1.
[90] Bolgár, 1. Teil, VI./31.; Busson, Art. 101.
[91] So z.B. im militärischen Bereich: Nachschlagebuch bei Austragung von Ehrenhändeln für den Offizier als Kartellträger (Zeuge), Sekundant und Unparteiischer, Berlin 1891, Ziffer 10, S. 15, Faksimile in: Hauser, Peter (Hg.): Zweikampfregeln für den Offizier, Hilden 2006. Im studentischen Bereich: Leipziger SC Paukcomment 1848, § 117, 1873 § 38 und 1925 § 73; Ehrengesetze und Zweikampfregeln für die Deutsche Burschenschaft, 1902, Besonderer Teil, § 46; § 222 Innsbrucker SC-Paukcomment, 1914; § 103 Ziffer 10 Satzung des Münchner Waffenringes, 1927; § 150 Ehren- und Paukordnung der Schweizerischen Akademischen Turnerschaft (SAT), 1910 und 1917; § 122 Paukordnung des Schweizerischen Waffenrings (SWR), 1930.
[92] Busson, Kommentar zum Art. 102 Abs. 2.
[93] Bolgár, 3. Teil, 3./7.
[94] Zum 1952 gegründeten WKR gehören (Oktober 2008) einundzwanzig Wiener Korporationen: Akademische Burschenschaften Albia, Aldania, Bruna Sudetia, Gothia, Libertas, Moldavia, Oberösterreicher Germanen, Olympia, Silesia, Teutonia; die Corps Hansea, Posonia und Saxonia; die Landsmannschaften Cimbria und Kärnten; Universitätssängerschaft Barden, Jägerschaft Silvania, Verein deutscher Studenten Sudetia, Wiener Akademischer Verein, Verbindung Wartburg und die Tafelrunde Wiking zu Wiener Neustadt.